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Kommentar um „5 vor 12“: Streitfall Geschlechtsidentität

Die ungarische Regierung will in der Verfassung die Geschlechter von Müttern und Vätern festlegen und den Geschlechtswechsel verbieten. Die deutsche Öffentlichkeit reagiert wenig differenziert. Mehr Sensibilität auf allen Seiten ist notwendig.
Ungarns Regierungschef Orban
Foto: Sven Hoppe (dpa) | In der ungarischen Verfassung solle künftig festgelegt werden, dass die Mutter eine Frau und der Vater ein Mann sei.

Wer bin ich?  Kaum eine andere Frage emotionalisiert die Menschen so sehr wie die nach der eigenen Identität. Schließlich geht es hier tatsächlich ums Eingemachte. Um den Kern der eigenen Personalität. Nicht nur in kultureller Hinsicht, sondern auch in biologischer. Über diesen Sinn für die Bedeutung der eigenen Identität zu verfügen, hat Menschen schon zu allen Zeiten ausgezeichnet. Das Neue liegt darin, dass Identität von immer mehr Menschen nicht mehr als etwas Gegebenes verstanden wird, sondern als etwas, das verändert werden oder gewechselt werden kann. Die Identität wird zur Verfügungsmasse der eigenen Kreativität. Auch die biologische Identität. Es wird nicht mehr gefragt: Wer bin ich? Sondern: Wer will ich sein?  Und in der Öffentlichkeit gibt es zunehmend den Trend zu sagen: Jeder soll der sein, der er gerne sein will.

Kann das Geschlecht gewechselt werden?

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Das erklärt die Reaktionen der meisten deutschen Medien auf die Pläne der ungarischen Regierung, die Verfassung des Landes mit Blick aúf die Geschlechtsidentität zu ändern. In der Verfassung solle künftig festgelegt werden, dass die Mutter eine Frau und der Vater ein Mann sei. Ein anderer Punkt betrifft die Frage, ob das Geschlecht gewechselt werden kann: Es soll festgeschrieben werden, dass als Geschlecht eines Menschen das gilt, welches bei der Geburt festgestellt wird. Danach soll es nicht mehr geändert werden können. Der erste Punkt ist für Katholiken unstrittig: Vater und Mutter sind immer Mann und Frau.

Der zweite Punkt verdient eine etwas differenziertere Sicht: Da ist einmal der Geschlechterwechsel als popkulturelles Phänomen. Bei Facebook kann der Nutzer zwischen einer Unzahl von Angeboten wählen, welches Geschlecht er den nun für sich in Anspruch nehmen will. Ein Hollywood-Sternchen erklärt, sie wolle das Geschlecht ihres Kindes nach der Geburt nicht wissen. Dieses solle später selbst entscheiden, welches Geschlecht es habe. Frauen fordern, als Menstruierende bezeichnet zu werden, weil sie sich eben nicht als Frauen sehen. "Gender-Wissenschaftler" denken sich ständig neue Geschlechtskategorien und obskure Mischformen aus. Wenn die ungarische Regierung Angst hat, dass dieser Trend der allgemeinen Geschlechterverwirrung aus dem Westen auch in ihr Land  hinüber schwappt und sie Ungarn schützen wollen, ist das nur zu verständlich.

Ist Ungarns Weg der richtige?

Trotzdem lässt sich darüber streiten, ob diese Form der richtige Weg ist: Denn es gibt sie eben auch: Menschen, die mit ihrem biologischen Geschlecht hadern und das Gefühl haben, im falschen Körper geboren zu sein. Die Größe dieser Gruppe liegt im Mini-Promille-Bereich. Aber kann man deswegen ihr Leid einfach ignorieren? Denn dass sie leiden, ist ohne Zweifel, auch wenn es für Menschen schwer nachvollziehbar sein mag, die mit ihrem biologischen Geschlecht in Einklang stehen. Die Gesellschaft schuldet diesen Menschen gegenüber Mitgefühl, aber auch die Bereitschaft zur Hilfe. Ob hier die Lösung in dem Ansatz der ungarischen Regierung liegt, darüber kann man streiten und nachdenken, daran kann man zweifeln, auch als Katholik. Zu bedenken wäre dabei: Diese Betroffenen verfolgen keine politische Agenda, mit der sie die natürliche Ordnung sprengen wollen. Sie sind Betroffene, nicht Ideologen. 

Ein anderer Punkt ist, wie in den deutschen Medien über diese Fragen diskutiert wird: Statt auf Differenzierung wird auf Eskalation gesetzt. Dort das böse, dunkle und reaktionäre Ungarn, hier wir aufgeklärten und toleranten Deutschen, die ständigen Geschlechterwechsel total hipp finden. Man wird das Gefühl nicht los, dass es hier letztlich auch um Identitätsfragen geht. Viele Journalisten wollen offenbar in erster Linie nicht über etwas berichten, sondern vor allem etwas sein, die Guten natürlich.

 

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