Wer sich von der Rede der Bundeskanzlerin Klarheit über die gegenwärtige Situation und die Aussichten zum Verlauf der Corona-Krise erhofft hatte, wurde fast schon erwartungsgemäß enttäuscht. Man sagt Angela Merkel nach, sie steuere in der Krise auf Sicht. Bis weit in den Beginn dieser Krise hinein regierte allerdings noch der Autopilot. So fand sich in der Rede bedauerlicherweise kein Wort von den Fehleinschätzungen und Versäumnissen im Vorfeld und am Anfang der Krise. Kein Wort zur fehlenden Vorsorge und erst recht keines zum viel zu späten Einsetzen der Gegenmaßnahmen.
Hoheit der Regierung über die Wahrheit
Unser Gesundheitssystem bezeichnete Merkel als das vielleicht weltweit beste. Das war es einmal, bevor Mediziner in Massen ins Ausland abwanderten und Kliniken in Grund und Boden gespart wurden. Die Wirklichkeit ist gekennzeichnet von einem eklatanten Mangel an Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln und seit einiger Zeit gibt es zudem Lieferprobleme bei Medikamenten. Kein Wort dazu, wie dem Mangel abgeholfen werden soll.
Ebenfalls verschwieg die Kanzlerin, warum die Schließung der Grenzen so spät und so lückenhaft erfolgte. Warum Hotspots nicht rechtzeitig konsequent abgeriegelt wurden bleibt ebenfalls ein Rätsel. Gleichfalls bleibt unklar, warum die Maßnahmen zentral in mühsamer Abstimmung und damit nur langsam mit der Gießkanne über die Republik verteilt werden. Stattdessen zeitnah, lokal und zielgenau einzugreifen, könnte die Krise schneller beenden. Die Kanzlerin löste diese Unklarheiten nicht auf. Sie konstruierte vielmehr eine Hoheit der Regierung über die Wahrheit in Verbindung mit der Ankündigung, man werde das Verhalten der Bevölkerung genau beobachten, um über weitere Maßnahmen zu entscheiden.
Im Beschwichtigungston einer mittelmäßigen Predigt
Auch darin blieb die Kanzlerin nebulös. Die Ausgangssperre wird nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Es wäre die Gelegenheit gewesen, sie kraftvoll und mit Aussicht auf Akzeptanz anzukündigen. Wenn sie jetzt kommt, wird sie so wenig akzeptiert werden, wie die Postulate zur Selbstisolierung, die zu absurden Coronapartys in Parks und Biergärten führen. Die Rede verlief passend dazu im Beschwichtigungston einer mittelmäßigen Predigt, hielt sich im Appellativen und zeigte erneut nur die emotionslose Kanzlerin, die in der Lage lebt, statt nach vorne zu schauen. Von solch einer Rede in der Krise ist zu erwarten, dass sie aufrüttelt, aufweckt und solidarisiert, denn das ist Angesichts der sich immer noch ausbreitenden Seuche notwendig. Bei dieser Rede allerdings war es anstrengend, bis zu ihrem Ende wachzubleiben.
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