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Kommentar um "5 vor 12": Hingehen, wo es weh tut

Was wir von Bischof Georg Bätzings Auftritt in der Talkshow „hart aber fair“ lernen können.
Schauspieler-Ensemble von "Gott" von Ferdinand von Schirach
Foto: (ARD Degeto/Programmplanung und P) | Wem gehört unser Leben? Und wer entscheidet über unseren Tod? In dem großen ARD-TV-Event „GOTT von Ferdinand von Schirach“ wird in einem fiktionalen Ethikrat über diese Fragen diskutiert.

Dass sich der Vorsitzende der Deutsche Bischofskonferenz zusammen mit drei weiteren Gästen in eine Talkshow setzt, versteht sich nicht von selbst. Schon gar nicht in Tagen wie diesen, da das Organisationsversagen der Kirche bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch, etwas dem sich – öffentlich wahrnehmbar – bislang niemand sonst stellt, wieder einmal für Schlagzeilen sorgt. Und schon gar nicht, wenn die Sendung den Namen „hart aber fair“ trägt, obwohl sie mit „hart aber unfair“ wenn auch nicht immer, so jedenfalls doch oft genug, auch treffend überschrieben wäre.

Limburgs Bischof Georg Bätzing hat es trotzdem getan. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist er dorthin gegangen, wo es weh tut. Vor einem Millionenpublikum hat er klaglos die zu erwartende Prügel eingesteckt, die der mit sprungbereiter Feindseligkeit agierende Moderator Frank Plasberg ihm zugedacht hatte.

Archivbilder eines Suizids ausgestrahlt

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Natürlich wird es auch jetzt nicht an Katholiken fehlen, die ganz genau wissen, was Bätzing dabei alles falsch gemacht hat und was er stattdessen hätte tun müssen. Die gern einen Kreuzritter gesehen hätten, der seine Gegner mit wehendem Banner und gezücktem Schwert argumentativ in den Staub reitet, weil Gott das angeblich so wolle.

Stattdessen durfte man einem Bischof dabei zuschauen, wie er emotional erschüttert wird, als Plasberg die Archivbilder eines von SWR-Fernsehleuten gefilmten Suizids einer an Kinderlähmung leidenden Frau zeigt. Der Sohn, der ihr den tödlichen Cocktail zubereitet, sitzt an diesem Abend ebenfalls im Studio.

Seelsorger und Geistlicher

Man konnte einen Seelsorger erleben, der auch mit den Kindern und Enkeln des 78-jährigen körperlich gesunden, aber lebensmüden Architekten Richard Gärtner ins Gespräch hätte kommen wollen. Jener fiktiven Gestalt aus Ferdinand von Schirachs verfilmtem Theaterstück „Gott“, von der 70,8 Prozent der Zuschauer finden, er solle Zugang zu einem Präparat erhalten, mit dem er sich selbst das Leben nehmen kann. Man konnte einen Geistlichen erleben, der auch die Zuschauer noch verteidigt, in dem er darauf hinwies, es sei eines, ein solches Votum abzugeben, aber etwas ganz anderes, einem Menschen wie Herrn Gärtner ein solches Präparat auch tatsächlich zu geben und der fragte „Wer von den Zuschauern würde die Verantwortung auch dafür übernehmen?“

Leuchtturm der Humanität

Man konnte einen Bischof erleben, der sich den Menschen – denen im Studio, aber auch denen, um die es in den diskutierten Fällen ging – zuwandte, sie annahm und gelten ließ. Und der ihnen erst dann, ganz einfach und respektvoll seine Sicht der Dinge anbot. Jemand, der auch zu Menschen, die andere Positionen vertreten, sagen kann: „Es ist gut, dass Du bist“. Jemand der um Menschen kämpft und sich bereitwillig an ihre Seite stellt, statt ihnen den Weg zum Ausgang zu ebnen.

In der eisigen und teilweise stürmischen Studiowelt von „hart aber fair“ war Bätzing so etwas wie ein Leuchtturm der Humanität. Und dafür darf man ruhig auch einmal dankbar sein.

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Stefan Rehder

Kirche