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Kommentar um „5 vor 12“: Frankreichs Bewusstseinswende verstetigt sich

Die schleichende Ausbreitung des radikalen Islam ist den Franzosen mit den jüngsten Terrorakten deutlich bewusst geworden. Und in der Politik der französischen Regierung erfolgt ein Paradigmenwechsel.
Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich.
Foto: Ian Langsdon (EPA/AP) | Emmanuel Macron hatte dem Rat der Islamverbände ein Ultimatum gestellt, binnen 14 Tagen eine Charta des Rats über die Werte der Republik vorzulegen, an die sich die Imame und Moschee-Vereine zu halten hätten.

Frankreich trauert. Aber in den vielen Beileidsbekundungen für den gestern an Corona verstorbenen Ex-Präsidenten Giscard d’Estaing klingt die Sehnsucht nach alten Tagen mit. Giscard hatte nicht nur den letzten ausgeglichenen Haushalt der Fünften Republik vorgelegt, unter ihm war der Islam in Frankreich nur ein Thema der Einwanderung aus dem Maghreb. Heute gehört der Islam zu den größten Unruhefaktoren des Landes und seine radikalen Formen werden vom aktuellen, fünften Nachfolger Giscards aktiv verfolgt. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Politik der französischen Regierungen gegenüber dem Islam.

Wende auf zwei Ebenen

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Die Wende erfolgt auf zwei Ebenen, einer ideologisch-theoretischen und einer praktischen. Emmanuel Macron hatte dem Rat der Islamverbände ein Ultimatum gestellt, binnen 14 Tagen eine Charta des Rats über die Werte der Republik vorzulegen, an die sich die Imame und Moschee-Vereine zu halten hätten. Damit soll der Primat der Republik, de facto des laizistischen Staates über die Scharia dokumentiert werden. Es ist der Versuch einer ideologischen Eindämmung. Am Wochenende trifft Macron mit den Vertretern des Rats zusammen. Es wird eine höflich-freundliche aber auch kühle Veranstaltung werden.

Gleichzeitig geht Innenminister Gerald Darmanian konkret gegen radikale Tendenzen vor. 76 der 2623 Moscheen werden einer eingehenden Prüfung unterzogen. 18 von ihnen droht die Schließung. Zwei islamische Vereinigungen wurden bereits verboten, ihre Vorsitzenden haben in der Türkei um politisches Asyl gebeten. 68 Gefährder wurden abgeschoben, drei weitere Dutzend stehen unter verschärftem Hausarrest. Es sind erste Maßnahmen und nur die Spitze des Eisbergs. Die Sicherheitsdienste zählen rund 17.000 Gefährder (fichés S) unter ihnen an die 800 Rückkehrer aus Syrien, wo sie in den Reihen des Islamischen Staats Kampferfahrungen gesammelt haben.

Schleichende Ausbreitung des radikalen Islam

Die schleichende Ausbreitung des radikalen Islam, besonders im Großraum Paris und an der Mittelmeerküste, ist den Franzosen mit den jüngsten Terrorakten und eigentlich seit dem Mord an dem Priester Jacques Hamel während der heiligen Messe deutlich bewusst geworden. Eine Bewusstseinswende vollzieht und verstetigt sich. Die Ausbreitung begann unter dem liberalen Präsidenten Giscard, der übrigens auch die Abtreibungsgesetze einführte. Wenn Macron ihn heute Abend im Fernsehen als großen Europäer ehrt, wird er diesen Aspekt übersehen. Solange er in der Sache hart bleibt, mag man ihm das nachsehen.

 

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Jürgen Liminski

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