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Kommentar: Norm statt Nutzen

Von Stefan Rehder
Stefan Rehder
Foto: DT | Stefan Rehder.

Dass die Staatsanwaltschaft Hamburg im Prozess um den sogenannten „Sterbehelfer-Arzt“ Johann Spittler jetzt Revision beantragt hat, ist so richtig wie wichtig. Denn bei Licht betrachtet, geht es um weit mehr, als um die Frage, ob sich der 75-Jährige strafbar gemacht hat oder nicht. Verhandelt wird in diesem Prozess – ob beabsichtigt oder nicht – auch das Bild des Arztes an sich. Als der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann bei der Urteilsverkündung am Mittwoch erklärte: „Wir sind davon überzeugt, dass Sie sich in Bezug auf den von Ihnen begleiteten Doppelsuizid unter keinem Gesichtspunkt strafbar gemacht haben“, da sagte er weit mehr als „nur“ das. Implizit erklärte der Richter zugleich, es gehöre oder könne jedenfalls zu den Aufgaben von Ärzten zählen, Menschen bei einem Suizid zu begleiten. Wer hiervon überzeugt ist, sieht in dem Arzt letztlich einen bloßen Techniker. Einen der – je nach Kundenwunsch – Gesundheit wiederherstellt, Leiden lindert oder eben den Tod zuteilt. Der Arzt ist aber mehr als ein bloßer und hoffentlich guter Techniker. Der Arzt ist auch ein moralisches Subjekt. Als solches erlernt und verwaltet er die ärztliche Kunst allein, um Menschen zu helfen. Der klassische ärztliche Dreikampf – Heilen, Leid lindern, Trösten –, verträgt keine vierte Disziplin, die die anderen ad absurdum führte.

Es mag korrekt sein, dass der weltanschaulich neutrale Staat – anders als die Kirche, die im Menschen den Verwalter eines von Gott geschenkten Lebens sieht – gar nicht anders kann, als den Menschen auch zugleich als Eigentümer seines Lebens zu betrachten. Nur gibt dies weder dem Staat noch dessen Bürgern das Recht, aus Heilern Henker machen zu wollen. Es mag zutreffen, dass das Grundgesetz den Suizid nicht verbietet und ein Verbot desselben auch den Vätern und Müttern des Grundgesetzes fernstand. Aber auch das gibt weder dem Staat noch dessen Bürgern das Recht, die Suizidassistenz in die Hände von Ärzten legen zu wollen. Im Gegenteil: Er muss den Berufsstand vor jenen schützen, die an die Stelle von dessen Normen reines Nützlichkeitsdenken setzen wollen.

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