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Kein Hohelied der Autonomie

Zwölf Mitglieder der Leopoldina legen Diskussionspapier zur gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids vor.
Regelungen zum assistierten Suizid
Foto: Imago Images | Abgeordnete, denen der Schutz des Lebens besonders vulnerabler Menschen ein Anliegen ist, sind gut beraten, jede der zwölf Empfehlungen der zwölf Leopoldina-Mitglieder eigens und kritisch zu prüfen.

Zwölf Professoren und Mitglieder der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben vergangene Woche sieben Thesen und zwölf Empfehlungen zur gesetzlichen „Neuregelung des assistierten Suizids“ in der von der Akademie herausgegebenen Reihe „Leopoldiana Diskussion“ veröffentlicht.

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Angenehme Überraschungen

Verglichen mit den zuvor von anderen offerierten Empfehlungen und Gesetzesentwürfen sind viele der zwölf Empfehlungen, die beanspruchen, keine inhaltliche Positionierung der Leopoldina zu sein, erstaunlich restriktiv. Nur hier und da fallen sie in das Hohelied der Autonomie ein, welches das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 anstimmte. Das ist eine angenehme Überraschung, zumal zu den Autoren mit Andreas Voßkuhle auch der auf seinen Freiburger Lehrstuhl zurückgekehrte ehemalige Gerichtspräsident selbst zählt. Damit nicht genug: Geradezu herzerwärmend ist in den lesenswerten „Vorbemerkungen“ auch noch von den zentralen Aufgaben einer „sorgenden Gesellschaft“ die Rede.

Dennoch vermag keine dieser angenehmen Überraschungen darüber hinwegzutäuschen, dass den in einzelnen Empfehlungen bereits formulierten Ausnahmen ein Hang zur Extension innewohnt. Mit dem ist, wie die Niederlande, Belgien und Luxemburg, aber auch die Schweiz, Kanada und einzelne US-Bundesstaaten in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten gezeigt haben, ohnehin zu rechnen.

Die Debatte muss weitergeführt werden

Abgeordnete, denen der Schutz des Lebens besonders vulnerabler Menschen ein Anliegen ist und die dabei sind, eine gesetzliche Neuregelung zu erarbeiten, sind also gut beraten, jede der zwölf Empfehlungen der zwölf Leopoldina-Mitglieder eigens und kritisch zu prüfen. Alle übrigen sollten das Diskussionspapier als das verstehen, was es erklärtermaßen sein will: „Ein Beitrag zur Debatte“. Die sollte – schon aus Gründen intellektueller Redlichkeit – möglichst breit statt eng geführt werden. Dazu gehört auch, mögliche Kategorienfehler des Denkens noch einmal genauer in den Blick zu nehmen. Ein heißer Kandidat dafür wäre die weit verbreitete Übung, das Vitalgut Leben unter das Eigentum von Bürgern zu rechnen. Denn Eigentum legen sich Menschen zu oder erhalten es, etwa in Gestalt eines Erbes. Dass ein Gut, das den „Eigentümer“ erst konstituiert, auch unter das Eigentum gerechnet werden kann, leuchtet daher zumindest nicht von selbst ein.

Es mag sein, dass die staatliche Ordnung es verlangt, dass der Gesetzgeber höchstrichterliche Urteile in allen Fällen zunächst als bindend betrachtet. Das entbindet die Gesellschaft jedoch nicht davon, eingehend zu prüfen, ob deren Prämissen auch ein belastbares „fundamentum in re“ besitzen und deren Korrektur zu verlangen, wo dies nicht der Fall ist. Nirgendwo gilt das so sicher als dort, wo es buchstäblich um Leben und Tod geht.

Lesen Sie weitere Hintergründe zum Diskussionspapier der Leopoldina in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

Themen & Autoren
Stefan Rehder Andreas Voßkuhle Bundesverfassungsgericht

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