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Französischer Philosoph plädiert für Impfpass – aus philosophischer Betrachtung

Der ehemalige französische Bildungsminister Luc Ferry setzt sich aus philosophischen Erwägungen für den digitalen Impfnachweis ein. Dieser befreie nicht nur von einem narzisstischen Individualismus, sondern sei auch das einzige Mittel, um unsere Freiheiten wiederzugewinnen.
Coronavirus - Proteste in Frankreich
Foto: Michel Euler (AP) | Demonstranten und Demonstrantinnen halten Schilder mit der Aufschrift «Liberte» («Freiheit») bei einem Protest. Erneut hat es in Frankreich Massenproteste gegen eine Verschärfung der Corona-Regeln gegeben.

Angesichts der in französischen Medien weitverbreiteten Ablehnung des digitalen Impfnachweises spricht sich der Philosoph Luc Ferry - von 2002 bis 2004 Bildungsminister im konservativen Kabinett Raffarin – in der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ aus philosophischen Gründen für einen Impfpass aus.
Er erinnert daran, dass in Frankreich 92 Prozent derjenigen, die eine Anti-Impfpass-Haltung vertreten, zugleich auch Impfgegner seien. Ferry wendet sich in der konservativen Tageszeitung gegen die Fülle an Artikeln, die derzeit in der Presse erscheinen und sich gegen die Einführung des Impfpasses aussprechen, weil - so deren Argumente – dieser uns unsere Grundrechte nähme, einen Bruch in unserer Zivilisation und einen Schritt auf die Diktatur hin bedeutete. 

Von narzisstischem Individualismus befreien

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Stattdessen möchte er aus philosophischer Sicht darlegen, warum er genau das Gegenteil denke. Dass nämlich dieser digitale Impfnachweis, „der von einem demokratischen Parlament anerkannt wurde, das alleinige und ausschließliche Mittel dafür ist, sich nicht nur von einem narzisstischen Individualismus zu befreien, der den staatsbürgerlichen Gemeinsinn unterminiert, sondern auch, um unsere Freiheiten wiederzugewinnen“.

Ferry erinnert im Figaro daran, dass es in Frankreich nach anderthalb Jahren einer Pandemie, die leider noch immer im Umlauf sei, fast 120.000 Tote gab – „eine Situation, die die Impfpass-Gegner vielleicht ja für harmlos halten, ich aber nicht“. Zunächst deshalb, weil es eine „seit der Spanischen Grippe beispiellose“ Situation sei, aber auch „aufgrund großartiger Fortschritte, die von einer Medizin erreicht wurden, von der man dachte, dass sie uns gegen diese Art Katastrophe schützen würde. Schließlich aber auch, weil die Vorstellung, an dieser verdammten Krankheit nach Wochen der Reanimation zu sterben, mich nur mäßig erfreut. Kurz gesagt – ich sehe nicht, warum das Ergreifen von Maßnahmen des gesunden Menschenverstandes, um die Katastrophe zu verhindern, lächerlich, freiheitsbedrohend oder schwarzseherisch sein soll“. Im Allgemeinen seien die „sprachlichen Aufschneider“ dann doch nicht tapferer als die anderen, wenn der Tod sie erwische. 

Der Fakt, dass eine Mehrheit unserer Zeitgenossen Lust am Leben hätten, „dass sie es ablehnen zu sterben, weil Leichtfertige im Namen einer infantilen Vorstellung von Freiheit als einem absoluten Recht, sich über den anderen lächerlich zu machen, sie angesteckt hätten, scheint mir kein Rückschritt zu sein, sondern ein toller Fortschritt  – nicht nur in Bezug auf den Verstand, der darin besteht, die Wissenschaft dem Obskurantismus vorzuziehen, sondern zugleich im Hinblick auf die Ethik, die uns auffordert, die anderen Menschen zu schützen, indem man an einem öffentlichen Ort seinen Impfpass vorlegt“.

Ohne Impfpass in unerträglicher Lage

Doch da gebe es noch mehr: Selbst wenn man die eben genannten Befunde ablehne, so Ferry weiter, sollten wir uns daran erinnern, dass wir ohne Impfung und ohne Pass „die Pflegekräfte auf moralischer Ebene erneut in eine unerträgliche Lage versetzen: Ohne noch nicht einmal vom Ausmaß des Stresses zu sprechen, das man ihnen aufbürden würde, wären sie doch gezwungen, Diagnosen aufzuschieben, was – vor allem im Fall von Krebserkrankungen – ganz einfach einen Anstieg der Todesfälle zur Folge hätte; sie wären aber auch gezwungen, Operationen aufzuschieben und sogar im Notfall zwischen denen zu entscheiden, die man retten werde, und denen, die man wegen fehlender Plätze sterben lassen werde!“ Ferry habe Ärzte gesehen, „die angesichts dieser entsetzlichen Alternative den Tränen nahe waren und am Rand der Verzweiflung standen. Und genau dazu würde das Nichtvorhandensein des Impfpasses führen“.  DT/ks

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