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Forscher warnen vor Lockerung des „Lockdowns“

Mathemathische Modellierungen liefern neue Risikoeinschätzungen zum Verlauf der Pandemie in Deutschland. Nach Ansicht der Forschen müssten die Restriktionen weiter aufrechterhalten oder gar weiter verschärft werden.
Coronavirus: Debatte um Lockerung der Ausgangsbeschränkungen
Foto: Frank Rumpenhorst (dpa) | Können Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen bald wieder gelockert werden? Die Wissenschaftler der Helmholtz-Gemeinschaft sind nicht der Meinung.

Forscher der Helmholtz-Gemeinschaft warnen in einen gemeinsamen Strategiepapier eindringlich vor einer Lockerung der Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen zum jetzigen Zeitpunkt. Um das Gesundheitssystem vor Überlastungen zu schützen, müssten die derzeitigen Beschränkungen weiter aufrechterhalten werden.

In ihrer Expertise, die den Titel „Systemische Analyse der COVID-19-Epidemie“ trägt, skizzieren die Wissenschaftler um den Leiter der Abteilung Systemimmunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, Professor Michael Meyer- Hermann, nach der Auswertung verschiedener Modellrechnungen drei mögliche Szenarien für den weiteren Verlauf der Pandemie.

Reproduktionszahl als entscheidende Größe

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Als entscheidende Größe für alle Szenarien betrachten die Wissenschaftler die sogenannte „zeitabhängige Reproduktionszahl“. Diese gibt an, wie viele Menschen ein mit dem Virus Infizierter durchschnittlich ansteckt und gilt als wichtiger Indikator dafür, wie schnell sich eine Epidemie ausweitet.

Wie die Forscher in dem Papier schreiben, bestehe „Einigkeit, dass die derzeitig beobachtete Verlangsamung der Ausbreitung des Virus in Deutschland auf die Einhaltung der verhängten Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung zurück zu führen ist.“ Habe die Reproduktionszahl zu Beginn der Pandemie „zwischen 3 und 5 gelegen“, so liege sie derzeit „im Bereich von 1“. Dies könne als „großer Erfolg der Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung gewertet werden“.

In ihre Modellrechnungen haben die Wissenschaftler um Meyer-Hermann Angaben zur Anzahl stationär aufgenommener und intensivmedizinisch betreuter Patienten integriert. Sie meinen daher, die Belastungen für das deutsche Gesundheitssystem bei verschiedenen Ausbreitungsszenarien vorhersagen zu können.

Überlastung des Gesundheitssystems

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Bei einer Reproduktionszahl von 1 würden rund 10.000 der 28.000 Intensivbetten über die Dauer eines ganzen Jahres durchgehend mit COVID-19-Patienten belegt. Dies könne das deutsche Gesundheitssystem verkraften. Stiege dagegen die zeitabhängige Reproduktionszahl des Virus wieder auf Werte über 1, werde auch „die Infektionsaktivität unweigerlich wieder an Fahrt aufnehmen und innerhalb weniger Monate das Gesundheitssystem massiv überlasten“. Erst wenn es gelänge, die Reproduktionszahl auf Werte deutlich unter 1 zu senken, ließe sich „die Ausbreitung des Virus in der Gesellschaft signifikant reduzieren“. Je „strikter die Maßnahmen, desto schneller wird der Zielwert erreicht“, so die Forscher. Danach könne man die Maßnahmen „schrittweise aufheben“. Aber auch müsse „eine erneute Ausbreitung verhindert“ werden. Dazu sei eine „deutlich ausgeweitete Test-Strategie unerlässlich“, die Neuinfektionen „früh entdecken“ und „lokal“ auflösen und „gegebenenfalls wirksam gegensteuern“ könne.

Die Modellrechnungen Helmholtz-Forscher und ihre Bewertung widerspricht den Empfehlungen, die Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina kürzlich präsentierten und in denen sie sich für die schrittweise Öffnung des öffentlichen Lebens unter Berücksichtigung von Schutzmaßnahmen wie der Einhaltung von Mindestabständen und dem Tragen von Schutzmasken aussprachen.

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