In einem Artikel für den Figaro beklagt die ehemalige Starjournalistin des Blattes sowie Autorin von 20 Büchern, Christine Clerc, die „Omerta“ - das allen Betroffenen auferlegte Schweigen - in Bezug auf den rücksichtslosen Vormarsch eines radikalen Islam, der sich seit fast zwei Jahrzehnten im französischen Bildungssystem breitmacht. Denn schon im Jahr 2003 habe eine Lehrerin in der Pariser Banlieue in ihrem Bestseller „Collèges de France“ das Benehmen „äußerst großzügiger und kultivierter“ Kollegen angeprangert: „Als sie maghrebinische und afrikanische Schüler für ihre ‚unsozialen Verhaltensweisen‘ bestrafen wollte, warfen ihr diese Lehrer ihren ‚widerwärtigen Rassismus‘ vor. Habe es sich dabei nicht um ‚aufgebauschte‘ Einzelfälle gehandelt?“
Der Realität auf der Spur
Um der Realität auf die Spur zu kommen, fing Clerc an, für eine große Reportage über die Situation an den Schulen zu recherchieren. Ihre Reise führte sie dabei quer zu weiterführenden Schulen durch die ganze Republik, von Dunkerque im äußersten Norden Frankreichs über die Pariser Banlieue, Tours und Marseille bis ins südfranzösische Lyon. 2003 erschien die Dokumentation unter dem Titel „Schule: die Republik mit verbundenen Augen“ auf drei Seiten im Figaro.
Als sie ihre Notizbücher erneut durchschaut, stößt sie auf Marianne T., eine tunesisch-stämmige Französin, die damals Schulleiterin eines Collèges nördlich von Paris war: „617 Schüler, von denen 50 % afrikanischer und 38 % maghrebinischer Herkunft waren“, die übrigen Schüler waren Kurden, Pakistani, Türken und Chaldäer aus dem Irak“. Beim Rundgang durch das Schulgebäude mit seinen würfelförmigen Bauten, in denen alle Klassen mit neuem Mobiliar und Computern ausgestattet waren, vertraute Marianne ihr an, „dass sie einen Film über die Gruppenvergewaltigungen in ihrer Einrichtung vorbereitete“. Was von ihren Vorgesetzten zunächst negativ aufgenommen wurde, einige Jahre später jedoch den ihr von Präsident Jacques Chirac verliehenen nationalen Verdienstorden L’Ordre de mérite einbrachte.
Anstieg der interethnischen und interreligiösen Gewalt
Neben den Vergewaltigungen, schreibt Clerc, beunruhigten Schuldirektorin Marianne auch noch der „Anstieg der interethnischen und interreligiösen Gewalt“. Einige Wochen zuvor sei ein indischer Jugendlicher, der Klassenbeste, von etwa zwölf gleichaltrigen Schülern maghrebinischer Abstammung zusammengeschlagen worden. Zwei Lehrer und ein Assistent mussten dazwischengehen, um sie daran zu hindern, den Kopf ihres Opfers in das Panoramafenster zu schmettern. Seine Eltern meldeten ihn daraufhin an einer Pariser Schule an. Marianne kommentiert gegenüber Clerc: „Was soll man denn da machen! Es sind zu viele, als dass man sie alle bestrafen könnte!“
Nach dem Willen des damaligen Bildungsministers Luc Ferry hatte Marianne eine „Sensibilisierungskampagne“ gegen Rassismus gestartet. Eine muslimische Mutter habe immer wieder gesagt: „Die Franzosen mögen uns nicht“, weil die Schulleiterin ihren drei Töchtern untersagt hatte, verschleiert im Unterricht zu erscheinen. Marianne antwortete ihr auf Arabisch: „Wie können Sie so etwas sagen? Wissen Sie, was der französische Staat jedes Jahr für den Unterricht Ihrer drei Kinder ausgibt? 8000 € für jedes!“ DT/ks
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