Vor einem knappen Jahr hat die Türkei die Hagia Sophia zu Istanbul, einstmals die wichtigste Kirche der Orthodoxie und Krönungsbasilika der byzantinischen Kaiser, zur Moschee erklärt. Präsident Erdogan höchstselbst dirigierte im Juli 2020 die zweite islamische Inbesitznahme dieses Wahrzeichens der orthodoxen Christenheit. Sollte der türkische Präsident damals gedacht haben, dass die Begeisterung der türkischen Muslime darüber dauerhaft, der Protest des Westens jedoch kurzatmig sei, so wurde er jetzt eines Besseren belehrt.
Deutlich und klar
Ungewohnt deutlich und klar hat jetzt das Europäische Parlament die Umwandlung der Hagia Sophia, die ab 1934 als „Museum“ einen neutralen Status hatte, in eine Moschee kritisiert. Mehr noch: Das Parlament der Europäischen Union fordert die Türkei auf, diese Umwandlung zu „überdenken und rückgängig zu machen“. Die Nutzung der Hagia Sophia als Moschee widerspreche dem auch von Ankara ratifizierten UNESCO-Abkommen zum Schutz des Kulturerbes, darum müsse jetzt die UNESCO einschreiten.
Keine Samthandschuhe mehr
Das Europäische Parlament hat die Samthandschuhe, mit denen der türkische Autokrat lange angefasst wurde, abgelegt. Es nennt konkret, ausführlich und kenntnisreich die Mängel und das Versagen der türkischen Regierung, ja deren Abkehr von den europäischen Auffassungen zu Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit. Das war dringlich und ist wohltuend.
Dass man in Brüssel auch auf die Rechte der kleinen christlichen Minderheiten in der Türkei nicht vergisst, sondern die orthodoxen Griechen ebenso wie die Armenier und die Christen der syrischen Tradition im Turabdin breit thematisiert, dürfte nicht nur die Mächtigen in Ankara überraschen. Das Europäische Parlament hat sich im Fall der Türkei entschieden, den religiösen und ethnischen Minderheiten im Reich Erdogans seine Stimme und sein Gewicht zu leihen. Eine Sternstunde des europäischen Parlamentarismus!
Lesen Sie einen ausführlichen Hintergrund zum Türkei-Bericht des Europäischen Parlaments am Donnerstag in Ihrer „Tagespost“.