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Eine herkulische Aufgabe

Bei der gestrigen Orientierungsdebatte zur Neuregelung der Suizidhilfe zeigte sich das Parlament von seiner besten Seite. Ein Kommentar.
Hospiz des Juliusspitals Würzburg
Foto: Daniel Karmann (dpa) | "Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben" - im Hospiz des Juliusspitals in Würzburg.

Wird der Fraktionszwang aufgehoben, ist die Rede von der „Sternstunde des Parlaments“ selten weit. Ein großes Wort, das oft überstrapaziert wird. Und doch: Bei der Orientierungsdebatte, die der Deutsche Bundestag gestern Nachmittag unter der Reichstagskuppel in Berlin veranstaltete, zeigte sich das Parlament tatsächlich einmal von seiner besten Seite.

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Über zwei Stunden lang debattierten die Volksvertreter mit großem Ernst und getragen von gegenseitigem Respekt, die Folgen, die sich für den Gesetzgeber und die Bevölkerung aus dem Urteil ergeben, welches der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am 26. Februar 2020 verkündete.

Mit Metaphern wie der „Quadratur des Kreises“ (Michael Brand, CDU), der „Kultur des Todes“ (Stephan Pilsinger, CSU) oder der „Büchse der Pandora“ (Beatrix von Storch, AfD), die auch von zahlreichen anderen Parlamentariern aufgegriffen wurden, machten viele der 38 Redner deutlich, dass sie den Auftrag des Karlsruher Senats, das von diesem erfundene „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ gesetzlich zu regeln, für unerträglich halten oder jedenfalls als schwer erträgliche Zumutung betrachten.

Der Bundestag sollte sich die nötige Zeit nehmen

Und in der Tat: Regelungen ersinnen zu sollen, mit denen sich zuverlässig feststellen ließe, wann der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, ein freier und dauerhafter ist, ist eine geradezu herkulische Aufgabe. Eine, die angesichts der auch empirisch belegbaren Tatsache, dass die Mehrheit solcher Wünsche von Ängsten vor Schmerzen und Kontrollverlust, von Zerrbildern über Alternativen oder von Gefühlen gespeist wird, wie dem, überflüssig geworden zu sein und/oder anderen zur Last zu fallen, an Sadismus kaum zu überbieten ist.

Niemand, der bei klarem Verstand ist, könnte es dem Parlament übelnehmen, wenn es davor kapitulierte. Danach sieht es allerdings nicht aus. Der Bundestag – das wurde gestern auch deutlich – ist willens, sich der Zumutung zu stellen, wohl wissend, dass eine Bewältigung dieser Aufgabe, allenfalls näherungsweise gelingen kann. Umso wichtiger ist es nun, dass sich die Abgeordneten nun auch die notwendige Zeit nehmen. Die in dieser Legislaturperiode noch verbleibenden vier Sitzungswochen dürften dafür kaum reichen.

 

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Stefan Rehder

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