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Ein Tabubruch

Chinesischer Forscher gibt Geburt genmanipulierter Zwillinge bekannt – Experten halten die Behauptung für glaubhaft. Von Stefan Rehder

Die Behauptung des chinesischen Wissenschaftlers He Jiankui, in China seien kürzlich zwei, durch künstliche Befruchtung gezeugte Kinder geboren worden, deren Genom er mit der CRISPR/Cas 9-Technologie verändert habe, hat weltweit für Aufsehen und Entsetzen gesorgt. He zufolge handelt es sich bei den Kindern um Zwillinge. Auf einem am Sonntag über „YouTube“ verbreiteten Video erklärt er: „Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt.“ Die Sequenzierung ihrer Genome habe gezeigt, dass das Editieren funktioniere und nur das Gen verändert worden sei, auf das er und sein Team es abgesehen hätten. Ziel sei es gewesen, die Kinder gegen HIV resistent zu machen. Mit der auch als Genschere bezeichneten CRISPR/Cas9-Technologie will He in dem Erbgut der Zwillinge das Gen CCR5 deaktiviert haben. CCR5 wird für die Bildung eines Proteins verantwortlich gemacht, das es dem HI-Virus ermöglicht, in menschliche Zellen einzudringen.

Eigenen Angaben zufolge hat He das Verfahren bei insgesamt sieben Paaren, die sich einer künstlichen Befruchtung unterzogen, getestet. Dabei hätten er und sein Team das Erbgut von insgesamt zwölf künstlich erzeugten Embryonen mittels CRISPR/Cas9 genetisch manipuliert. Anschließend seien die Embryonen auf sechs der Frauen übertragen worden. In einem Fall habe das Experiment zu einer Schwangerschaft und der Geburt von Zwillingen geführt. Letztlich sei es nur bei einem der beiden Mädchen gelungen, beide Kopien des betreffenden Gens in der gewünschten Weise zu verändern. Bei der Zwillingsschwester sei dies nur bei einer Kopie geglückt.

He's Arbeitgeber, die Southern University of Science and Technology in Shenzhen, zeigte sich „zutiefst schockiert“ und erklärte am Montag, sie habe von den Experimenten keine Kenntnis. Auch seien diese nicht an der Universität erfolgt, dort sei He seit Februar beurlaubt. Die Universität kündigte eine Untersuchung des Falls an. He's Humanexperiment ist bislang weder in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert, noch durch unabhängige Genomtests überprüft worden. Ein chinesisches Studienregister belegt lediglich, dass das Experiment geplant gewesen sei.

Experten halten die Behauptungen He's, der mehrere Patente für Techniken zur Veränderung des Erbguts besitzen soll, jedoch für glaubhaft: „Die von mir überprüften Daten stimmen mit der Tatsache überein, dass die Bearbeitung tatsächlich stattgefunden hat“, zitiert das renommierte Wissenschaftsmagazin „Nature“ Fyodor Urnov vom Altius Institute of Biomedical Science in Seattle. Unterdessen haben 122 chinesische Wissenschaftler den Menschenversuch in einem Offenen Brief verurteilt: „Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt bezeichnet werden.“ Das Experiment sei ein „schwerer Schlag für die internationale Reputation und die Entwicklung der chinesischen Wissenschaft, insbesondere auf dem Gebiet der biomedizinischen Forschung“ und „äußerst unfair gegenüber der großen Mehrheit gewissenhafter Wissenschaftler in China“, die sich strikt an ethische Grenzen hielten.

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