Als der Arabische Frühling anbrach, stand Syrien in den Schlagzeilen. Als der Islamische Staat den fruchtbaren Halbmond verwüstete, stand Syrien in den Schlagzeilen. Als die Flüchtlinge nach Europa kamen, stand Syrien in den Schlagzeilen. Heute, zehn Jahre nach Beginn des Syrischen Bürgerkrieges, wird Syrien nur noch als Randnotiz betrachtet. Unbeachtet vom Westen, der auf den Politikwechsel in Washington blickt oder unter den Lockdown-Bestimmungen der Corona-Krise ächzt, kündigt sich eine humanitäre Krise in der Levante an. Dem einstigen Brotkorb droht eine Hungersnot.
"Erschreckend, um nicht zu sagen desaströs"
Ein offener Brief zur Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden macht dafür die internationalen Sanktionen verantwortlich. „Die umfangreichen Wirtschaftssanktionen von USA und EU verhindern den Wiederaufbau Syriens, führen zu einer dramatischen Hungersnot und Verelendung der gesamten Bevölkerung“, sagt Pfarrer Peter Fuchs, der Direktor von Christian Solidarity International (CSI) in Deutschland. Er ist einer der Unterzeichner des Papiers – einer von vielen anderen, zu denen Hilfsorganisationen, Kirchenvertreter, Wissenschaftler und Politiker gehören.
Dazu zählt auch Ignatius Joseph III. Younan, der Syrisch-Katholische Patriarch von Antiochia, der mit Rom uniert ist. Im Interview mit der Tagespost spricht er von einer Situation die „erschreckend, um nicht zu sagen desaströs“ sei. Sanktionen gegen ein unabhängiges Land müssten immer verboten sein, besonders, wenn es keinen Konsens in den Vereinten Nationen gebe. Der Westen habe viel zu lange vom Sturz Assads geredet und falsche Hoffnungen geschürt. Die Christen habe er überdies vergessen: „Die Gleichgültigkeit und der Opportunismus westlicher Politiker hat uns schwer getroffen.“ Die Mehrzahl der Syrer verfügten nach dem verheerenden Krieg weder über Nahrung noch Heizmaterial oder Medikamente. Inflation und Währungsverfall verschlimmerten die Situation.
Beharrlicher auf Religionsfreiheit im Nahen Osten setzen
Zugleich bedankte sich der Patriarch für die Hilfe durch Hilfsorganisationen, die Kirchen und private Initiativen. „Sie verdienen unsere tiefe Dankbarkeit und Anerkennung für ihre Nächstenliebe in Christo“, hob er hervor. Zugleich müsste der Westen beharrlicher auf Religionsfreiheit im Nahen Osten setzen. „Das ist nur möglich, wenn der Westen politische Korrektheit vermeidet und Regierungen wie religiöse Führer dazu auffordert, dass der Islam nicht Religion und Staat vermischt.“ Muslime sollten klar hören, dass sie alle Arten von religiösem Fanatismus und Diskriminierung verdammen müssten. Die religiöse Freiheit sei im Nahen Osten die Basis aller Freiheiten. DT/mga
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