Wir sind wieder „wir“. So ließe sich der bisherige Ertrag der Europa-Reise von US-Präsident Joe Biden minimalistisch zusammenfassen. Während sein Vorgänger Donald Trump mit seinem schroffen „America first“-Kurs die Europäer brüskiert und die NATO in die Sinnkrise gestürzt hatte, gelang es Biden, den verloren gegangenen Westen wieder zu entdecken. Nein, die NATO und die transatlantische Partnerschaft sind nicht obsolet. Ein Rückzug ins je eigene Schneckenhaus ist nicht das Gebot der Stunde.
Das Wir des Westens
Wie im Kalten Krieg, definiert sich auch jetzt das Wir des Westens am Gegenüber: Europa und die USA sehen sich von zwei militärisch, propagandistisch, politisch und ökonomisch offensiven Mächten herausgefordert. Viel zu lange übersahen insbesondere die europäischen Demokratien, dass Russland unter Wladimir Putin und China unter Xi Jinping nicht nur Partner, sondern Herausforderer, Systemkonkurrenten und auf vielen Feldern sogar Gegner sind.
Sicherheit selbst garantieren
Donald Trumps rüde Rempeleien wären für die Europäer auch eine Chance gewesen, endlich aufzuwachen und zur Erkenntnis zu reifen, dass sie ihre Sicherheit in Einheit selbst garantieren müssen. Diese transatlantische Krise jedoch verstrich ungenutzt: Statt sich geeint gegen die Desinformationskampagnen aus Moskau und den ökonomischen Kolonialismus aus Peking zu wehren, gackerte der europäische Hühnerhaufen in vielen Tonalitäten wild durcheinander. Bleibt zu hoffen, dass die Wiederentdeckung des Westens den Europäern jetzt hilft, ihre Lebensform gegen die konkurrierenden Modelle aus dem Osten zu verteidigen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.