Der „Tschechoslowakismus“ sei „etwas Künstliches“ gewesen, und die Vertreibung der Deutschsprachigen der „erste Schritt zur Sowjetisierung“. Der frühere tschechische Kulturminister Daniel Herman lässt im Tagespost-Exklusivinterview aufhorchen. Er ist „zutiefst davon überzeugt, dass die kulturelle Identität dieses Landes eine Symbiose aus drei dominanten Kulturen ist: der tschechisch-böhmischen, deutsch-böhmischen und jüdisch-böhmischen“. Diese Symbiose habe die kulturellen Fundamente des Landes geprägt, sagt er im Gespräch in seiner Heimatstadt Budweis.
Hohe Auszeichnung
Herman, der am kommenden Samstag in München mit dem „Europäischen Karlspreis“, der höchsten Auszeichnung der Sudetendeutschen Volksgruppe, geehrt wird, ist überzeugt: „So etwas wie Kollektivschuld gibt es nicht. Es gibt nur Menschen mit individueller Verantwortung.“ Das habe er in seiner eigenen Familie leidvoll erfahren. „Ich stamme aus einer halb-jüdischen Familie. Viele meiner Verwandten wurden in Konzentrationslagern ermordet.“ Aus der tragischen Geschichte seiner Familie habe er gelernt, dass man nie nach ethnischen Kriterien urteilen dürfe. „Das jedoch war nach dem Krieg der Fall.“
Vertreibung ein Tabu
Die Vertreibung der Sudetendeutschen sei in der Zeit des kommunistischen Regimes tabuisiert gewesen. „Erst in den letzten 30 Jahren können wir darüber offen reden.“ Heute würden in Tschechien gerade die jungen Menschen verstehen, „dass das, was damals geschah, ein Akt der Rache war und kein Akt der Gerechtigkeit“.
Daniel Herman wirbt für Versöhnung, ja für Freundschaft: „Wir gehören zusammen!“ Deutschland sei für Tschechien der wichtigste Nachbar und Handelspartner, mit zahlreichen Schul- und Gemeindepartnerschaften. „Die Sudetendeutschen spielen dabei die Rolle einer natürlichen Brücke. Unser kulturelles Erbe verbindet uns.“
DT/sba
Lesen Sie das vollständige Interview mit dem ehemaligen tschechischen Kulturminister Daniel Herman am Donnerstag in Ihrer „Tagespost“.