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Der Union fehlt der Feind

Die CDU war über Jahrzehnte immer auf einen politischen Feind fixiert. Wenn es den aber nicht mehr gibt, wie jetzt in Baden-Württemberg, bleibt nur programmatische Leere. Ein Kommentar.
Winfried Kretschmann
Foto: Felix Kästle (dpa) | Man kann ihn nicht zum Bürgerschreck stilisieren: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Liebe deine Feinde - denn du könntest sie noch brauchen. Hier ist nicht von der christlichen Feindesliebe die Rede, sondern von der politischen. Die CDU ist die große Verliererin der Landtagswahlen. Kein überzeugendes Programm, keine geklärte Kanzlerkandidatenfrage, schlechtes Corona-Management, zu wenig Abgrenzung von der Kanzlerin - was hat letztlich gefehlt?

Die Angst vor dem Feind als Antrieb

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Der Union fehlt ein Feind. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muss man vier Jahrzehnte zurück: 1976 gewann Hans Filbinger die Landtagswahl in Baden-Württemberg mit dem bis heute besten Ergebnis, das die Union jemals erzielt hat: 56,7 Prozent. Und wie lautete die Parole damals? "Freiheit statt Sozialismus". Die Union war in dieser Zeit keineswegs so geschlossen wie heute Nostalgiker im Rückblick gerne behaupten. Auch damals tobte ein innerparteilicher Kampf um die Frage, wer Kanzlerkandidat werden soll. Und die einzelnen Parteiflügel gingen nicht gerade zimperlich miteinander um. Auch davon, dass es intensive Programmdebatten gegeben hätte, gar zu der Frage, wie Politik im Namen des "C" auszusehen hätte, kann keine Rede sein.

Zwar war die innerparteilich Diskussionskultur stärker als heute, aber das  war nicht der Motor dafür, Wählermassen an die Urnen zu bewegen, um bei den Schwarzen ihr Kreuz zu machen. Der Antrieb war die Angst vor dem Feind. Die Sorge, die Anderen könnten die Macht übernehmen. Hier Freiheit, dort Sozialismus - ganz klare Alternative. Diese Strategie hat lange funktioniert. 

Kretschmann - in manchen Dingen rechts von der Kanzlerin

Doch jetzt ist der Feind der Union endgültig abhanden gekommen. Winfried Kretschmann, der in manchen Positionen vermutlich rechts von der eigenen Kanzlerin steht, kann man nicht zum Bürgerschreck stilisieren. Das hat die CDU auch gar nicht erst versucht. Nur hier zeigte sie plötzlich um so deutlicher die große programmatische Leere, die sichtbar wird, wenn die alten Strategie-Kulissen fallen.. Die Union hatte über Jahrzehnte darauf vertraut, es würde schon reichen, der Mitte einen bösen Buben zu präsentieren und sich als Garant der Stabilität zu verkaufen - und die Sache ist geritzt. In der Zeit der Kalten Krieges waren das die Kommunisten, dann später die Grünen und zum Schluss noch ein wenig die Linkspartei.

Auch Angela Merkel ist dieser Strategie gefolgt: Nur so wird verständlich warum die Gründung der AfD aus ihrer Sicht nicht die Geburt eines gefährlich Mitbewerbers war. Die AfD war bestens dazu zu gebrauchen, die frei gewordene Leerstelle des Feindes neu zu besetzen. Dieser Ansatz ist nicht aufgegangen. Aber eine Union ohne Feinde ist orientierungslos. Die Union, diese Sammlungsbewegung verschiedener nicht-linker Strömungen, hat sich vor allem immer als Bollwerk gegen etwas verstanden. Das war es, was diese durchaus sehr unterschiedlichen Richtungen zusammen gehalten hat: der gemeinsame Feind und die Option auf die Macht. 

Politische Landschaft vollkommen verändert

Dass dies alles nun bröckelt, ist nicht die Schuld der Union. Die politische Landschaft hat sich vollkommen geändert. Und die alten Lager gibt es nicht mehr - auch wenn Nostalgiker rechts wie links das nicht wahrhaben wollen. Ebenso fehlen Wähler, die auch nur ansatzweise über weltanschauliche Zugehörigkeitsformeln angesprochen werden könnten. Nichts liegt diesen Wählern ferner als Begriffe wie "Feind" oder "Freund" mit Politik in Verbindung zu bringen.  Politiker sind aus dieser Sicht vor allem Dienstleister.

Die Union wird als trutziges, aber letztlich träges "Keine Experimente"-Bollwerk nicht als Volkspartei überleben. Sie muss, auch wenn es ihr schwer fehlt, programmatisch werden. Und sie wird dann auch einmal klären müssen, warum denn dieses "C" in ihrem Parteinamen eigentlich steht. Es könnte aber auch sein, dass die alte Feind-Fixierung stärker ist. Nur das der neue Feind nicht außerhalb, sondern in der Partei gesucht wird. 

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Sebastian Sasse

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