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Der Abschied des Andreas Voßkuhle

Es ist vollbracht: Nach zwölf Jahren scheidet der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, nun aus dem Amt.
Andreas Voßkuhle scheidet nach 10 Jahren aus dem Amt
Foto: Sebastian Gollnow (dpa)

Am 5. Mai hat Andreas Voßkuhle zum letzten Mal die rote Richterrobe übergestreift und als Vorsitzender Richter des zweiten Senats ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verkündet. Nach zwölf Jahren, zehn davon als dessen Präsident, scheidet der 57-Jährige nun turnusgemäß aus dem Amt. Im Amt des Präsidenten folgt ihm der Vorsitzende Richter des Ersten Senats und bisherige Vizepräsident des Gerichts, Stephan Harbarth.

Mit Voßkuhle, geboren 1963 in Detmold, im Teutoburger Wald, verlässt ein Richter Karlsruhe, der nach Rücktritt von Christian Wulff auch schon als Bundespräsident gehandelt wurde. Einer, der wie kein anderer vor ihm das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat und dessen Amtsführung immer wieder auch Anlass zur Kritik bot. Dabei verstand es Voßkuhle bei öffentlichen Auftritten durchaus „bella figura“ zu machen. In Interviews gab es sich gern geschmeidig und betont lässig. Der Wochenzeitung „Die Zeit“ erzählt er unlängst, dass er in seinem Senat das „Du“ eingeführt habe, schwärmte von gemeinsamen Aktivitäten der vier Richterinnen und vier Richter und erklärte, wie sehr er vor allem den Austausch mit ihnen vermissen werde: „Mit den Kollegen tagelang über eine schwierige Rechtsfrage zu diskutieren, in einem kleinen Raum, sehr eng, sehr intensiv“, das sei „ein Privileg, oder soll ich sagen: das Geschenk, das ich bekommen habe“.

Kühler Stratege und ziemlicher Workaholic

Im TV-Interview mit dem Leiter der ARD-Rechtsredaktion, Frank Bräutigam, bei dem es auch um die Einschränkung von Grundrechten in Zuge der Corona-Krise ging, bewies er Empathie und Bürgernähe: „Was mich am meisten bedrückt in diesen Zeiten, ist, die Isolation der alten Menschen. Dass sie dann, wenn sie sowieso schon einsam sind und vielleicht krank sind, dann noch nicht einmal ihre Angehörigen besuchen können, dass sie ihre Enkelkinder nicht sehen, dass sie vielleicht sterben, ohne dass sie vorher noch einmal einen Gottesdienst besuchen können, das sind für mich die gravierendsten Momente im Augenblick.“ All das muss nicht gespielt sein, kann jedoch auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Voßkuhle, der nun an seinen Freiburger Lehrstuhl zurückkehrt, zumindest zugleich „ein kühler Stratege“ ist. Einer, den Kollegen, die auch nicht wenig arbeiten, als „ziemlichen Workaholic“ beschreiben und dem sie attestierten, er könne, wenn er wolle, „auch ziemlich energisch“ sein.

Selbst der „Spiegel“ schonte Voßkuhle, der von Kollegen gesellschaftspolitisch überwiegend im „linksliberalen Spektrum“ verortet wird und dem manche eine Nähe zur Humanistischen Union nachsagen, nicht. Unter der Überschrift „Merkels Chef“ mokierte sich das Magazin im Jahr 2013 über einen Auftritt Voßkuhles vor der Bundespressekonferenz in Berlin: „Nie zuvor hatte ein Verfassungsgerichtspräsident mit einem Auftritt in der Bundespressekonferenz die große Bühne gesucht. Verfassungsrichter sind schließlich keine Politiker, die ihr Handeln vor der Öffentlichkeit rechtfertigen müssten. Nie zuvor auch hatte ein oberster Verfassungsrichter derart demonstrativ die Distanz zum Berliner Betrieb aufgegeben und im Zentrum der Macht seine eigene Agenda vorgetragen. (…) Hier sprach der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschland AG, der seinen Vorständen die Marschroute für die kommenden Jahre vorgab.“ Die Politik, schrie der Spiegel damals Voßkuhle ins Stammbuch“ habe seinen Auftritt „als das verstanden, war er war: eine unbotmäßige Einmischung“.

Das Bundesverfassungsgericht ist zum Nebengesetzgeber geworden

Tatsächlich ist das Bundesverfassungsgericht unter der Präsidentschaft des Ostwestfalen, dem Wolfgang Janisch kürzlich in der „Süddeutsche Zeitung“ in einem sorgfältig recherchierten und mit viel Sympathie geschriebenen Portrait assistierte, er agiere, „als könne er über Wasser gehen“, immer stärker zu einer Art Nebengesetzgeber geworden. In vielen Urteilen der letzten Jahre, bei denen das Bundesverfassungsgericht vom Parlament beschlossene Gesetze wieder kassierte, begründeten die Karlsruher Verfassungshüter nicht nur, warum der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge und was er zu beachten habe, damit dies jeweils anders werden könne.

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Immer unverhohlener ließen die Richter in ihren Urteilen auch erkennen, was sie selbst für politisch geboten halten. Ein besonderes krasses Beispiel dafür ist zweifellos das Urteil des Ersten Senats zur sogenannten Sukzessivadoption. Aber auch das von Voßkuhle am Aschermittwoch selbst verlesene Urteil, mit dem sein Zweiter Senat das 2015 vom Deutschen Bundestag erlassene „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ für verfassungswidrig erklärte, verströmt diesen, Anhänger einer trennscharfen Gewaltenteilung verstörenden Geist. Es gibt Kollegen Voßkuhles, die meinen, es sei vor allem dieses Urteil, in dem sich „das Denken“ des Ästheten und Kunstliebhabers „wie unter einem Brennglas“ zeige.

Wie diese Zeitung damals schrieb, glaube man, bei der Lektüre des Urteils „Friedrich Nietzsche, Galionsfigur vieler ,Freidenker‘, durchzuhören, der seinen Zarathustra sagen ließ: ,Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will.‘“ Doch selbst, wenn dieser Eindruck täuschte: In dem Urteil kritisieren Voßkuhle und seine Senatskollegen –seitenlang und allenfalls schwach bemäntelt –, dass „die Mehrheit der Ärzte“ eine „Bereitschaft zur Suizidhilfe verneint“, fordern – wenn auch verklausuliert – so doch unmissverständlich die Öffnung des Berufsrechts für den ärztlich assistierten Suizid sowie „Anpassungen des Betäubungsmittelrechts“, die auf eine Freigabe des Erwerbs von Präparaten zur Selbsttötung hinauslaufen.

Er hinterlässt ein politisches Vermächtnis

Man kann den offenkundigen politischen Gestaltungswillen, den das Bundesverfassungsgericht ganz allgemein und sein scheidender Präsident Andreas Voßkuhle  im Besonderen an den Tag legen, unter dem Geschichtspunkt der Gewaltenteilung für verfehlt halten, die Politik entlasten kann man nicht. Sie sucht schließlich – im Fall Voßkuhles war es die SPD, nachdem die Union ihr die Zustimmung zu dem Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier verweigerte – die Richter aus. Wenn Andreas Voßkuhle demnächst seinen Freiburger Lehrstuhl wieder in Besitz nimmt, kann er auf ein politisches Vermächtnis zurückblicken, das er als Bundespräsident nie hätte erschaffen können.

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