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Corona fördert die Suche nach Sündenböcken

In der Krise gedeihen Verschwörungstheorien, vor allem Antisemiten haben Zulauf.
Antisemitismus und Corona
Foto: Daniel Reinhardt (dpa) | Antisemitische Schmiererei in Berlin: Ein durchgestrichener Davidstern: Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern an einer Gedenkstätte am Nordbahnhof.

Als der Schwarze Tod von 1346 bis 1353 in Europa herrschte, starben über 25 Millionen Menschen. Mit der Pest entflammte auch der Hass gegen die Juden, deren unschuldiges Blut von Fanatikern aus Rache vergossen wurde. Juden hätten die Brunnen vergiftet, um die Pest zu verbreiten. Die Pest sei ein jüdischer Komplott, um die christlichen Gemeinden zu dezimieren. Die unbegründeten Beschuldigungen gegen Juden, die selbst auch in großen Zahlen den entsetzlichen Pesttod starben, waren zahlreich und weit verbreitet. Hunderte jüdische Gemeinden wurden vollständig vernichtet.  Diese antijüdischen Verschwörungstheorien haben den Schwarzen Tod – im angesichts des Coronavirus flammen sie nun wieder neu auf.

Antisemitische Beiträge in sozialen Netzen nehmen zu

Ein interner Bericht des israelischen Außenministeriums warnt ausdrücklich vor der drastisch steigenden Zahl von antisemitischen Beiträgen in den sozialen Medien, in denen Israel und Juden für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht werden. Besonders weite Verbreitung solcher antisemitischen Verschwörungstheorien lassen sich momentan in den USA, Frankreich, Deutschland, dem Iran und der Türkei beobachten. „Seit Mitte Januar häufen sich auf unseren Schreibtischen historische, antisemitische Aussagen im Zusammenhang mit Viren und Krankheiten“, erklärt Oren Segal von der Anti-Defamation League, die sich gegen die Diskriminierung und Diffamierung von Juden eintritt. „Diese Denkmuster aus dem Mittelalter werden im Zusammenhang mit dem Coronavirus wiederbelebt und verdichtet in der Aussage: ,Die Juden verbreiten den Virus, sie sind für dessen Entstehung verantwortlich und sie tun dies, um davon finanziell zu profitieren‘.“

In den sozialen Netzwerken in Deutschland weit verbreitet ist eine Warnung vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 mit der Darstellung eines Judensterns, in dessen Mitte „infiziert“ steht. Doch das Problem ist nicht auf Bilder und Texte beschränkt, die  in obskuren Internetkanälen verbreitet werden, sondern hat ein globales, metastasierendes Ausmaß. Rick Wiles, ein US-amerikanischer, an keine Konfession gebundener, christlicher Pastor, der die rechtsextreme Nachrichtenseite „TruNews“ betreibt, erklärte vergangenen Monat, dass die Pandemie gleichzeitig Gottes Mittel sei, die Juden zu bestrafen und durch sie den Virus zu verbreiten. Im Jemen erklärte Schein Ibrahim Al-Ubeidi Ende März öffentlich in seiner Freitagspredigt, dass Juden und Amerikaner den Coronavirus entwickelt hätten, damit die islamischen heiligen Stätten Mekka und Medina geschlossen werden müssen. In „Al-Hayat al-Jadida“, der Tageszeitung der Palästinensischen Autonomiebehörde erschien am 16. März eine Karikatur, in der der Virus als ein israelischer Panzer dargestellt wird, der einen Palästinenser mit einem Kind auf dem Arm angreift.

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Worte haben oft konkrete Folgen

Und der jordanische Journalist As'd al-Azouni schrieb im vergangenen Monat, dass „dieser Virus zweifellos eine Folge des heimlichen jüdischen Hasses auf die ganze Welt ist“. Juden hätten den Ausbruch des Ersten Weltkriegs „verursacht“ und dadurch zur Balfour-Deklaration beigetragen, in der Großbritannien seine Zustimmung zu den zionistischen Bemühungen um die Errichtung einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes erteilte. Ebenso sollen sie den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs „verursacht“ haben, um darauffolgend ihre „Kolonie in Palästina“ zu erhalten. Und „jetzt wollen sie den Ausbruch des Dritten Weltkriegs verursachen, damit sie die Gründung des Königreichs Groß-Israel deklarieren können“.

In der Vergangenheit hatten die Worte solcher antisemitischen Verschwörungstheorien allzu oft konkrete Folgen für Juden, von der sozialen Ausgrenzung bis hin zu Pogromen. Zudem ermöglichen die sozialen Medien den antisemitischen Ideologien eine bisher unvorstellbare Reichweite. In einer öffentlichen Videokonferenz des Jerusalem Center for Public Affairs plädierte Tzachi Gabrieli vom israelischen Ministerium für strategische Angelegenheiten in der vergangenen Woche für einen nüchternen Blick auf die Problematik. Dieser Antisemitismus  sei„nicht in einem Vakuum“ entstanden, sondern stelle eine „Fortsetzung“ dar, zunehmend sei er direkt gegen Israel gerichtet. Gabrieli fordert daher, dass die Weltgemeinschaft den bereits vor der Pandemie und unabhängig davon ausgesprochenen Empfehlungen des UN-Sonderberichterstatter für Religions- oder Glaubensfreiheit Ahmed Shaheed folgt: verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Gemeinschaften, konkrete Gesetzte gegen die zunehmende Hassrede und die Übernahme der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance.

Warnleuchte für zunehmende religiöse Intoleranz

Die Autoren dieser Erklärung definieren  Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“. Es heißt dort weiter: „Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“ In derselben Videokonferenz warnte Malcom Hoenlein von der Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations zudem vor dem Antisemitismus nach der Pandemie: „Die Monate der Isolation und die bevorstehenden Herausforderungen, wie zum Beispiel sozioökonomischer Art, sind ein fruchtbarer Boden für Antisemitismus. in genau solchen Situationen gedeiht er..“

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Dass der Antisemitismus, besonders in Zeiten der Pandemie, nicht nur ein Problem des Judentums ist, hat der renommierte Antisemitismusforscher Yehuda Bauer aus Jerusalem in einem Beitrag für die israelische Tageszeitung „Haaretz“ betont: „Wir brauchen eine intelligente Strategie für eine aggressive Antwort auf den Antisemitismus im Internet, die verdeutlicht, dass Antisemiten eine Bedrohung für das Überleben nicht-jüdischer Gesellschaften darstellen“, und er gibt zu bedenken: „Letztendlich war die Mehrheit der Opfer des Nazismus, der auf einer Ideologie des Antisemitismus aufbaute, nichtjüdisch - etwa 29 Millionen nach meiner Schätzung, darunter Millionen von Deutschen, die im Zweiten Weltkrieg starben.“

Und zugleich ist der aufflammende Antisemitismus immer eine Warnleuchte für zunehmende religiöse Intoleranz. In der vergangenen Woche hat Ahmed Shaheed ausdrücklich auf zunehmende Tendenz hingewiesen, dass Minderheiten in vielen Ländern, seien es Christen, Juden, Muslime, Migranten oder Asylsuchende – für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich gemacht werden. Und er betonte die Pflicht der Staaten, jede Anstiftung zu Hass oder Gewalt aufgrund religiöser oder ethnischer Identität auch im Angesicht der Pandemie einzudämmen.

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