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Big Brother Xi – wie China die Überwachung weiter vorantreibt

Die chinesische Regierung nimmt die COVID 19-Epidemie zum Anlass, um die Überwachung der Bevölkerung immer weiter zu perfektionieren. Die wichtigste Rolle spielt dabei das Mobiltelefon.
Coronavirus - Überwachung in China
Foto: Mark Schiefelbein (AP) | Peking: Chinesische Polizei- und Sicherheitsbeamte tragen in einer Formation vor einem Eingang zur Verbotenen Stadt einen Mundschutz, um eine Verbreitung des neuen Coronavirus zu verhindern.

Wie ein Bericht der Wochenzeitung Le Journal du Dimanche aufzeigt, ist die berühmte Dystopie „1984“ von George Orwell im Reich der Mitte bereits zur Realität geworden. Die in dem Bestseller von 1949 agierende „Gedankenpolizei“ ist in China eine politische Polizei, die aus dem COVID 19-Virus eine neue Legitimität bezieht: „Big Brother hat sich als Virenjäger verkleidet“.

Neues Leben in Grün, Rot und Gelb

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Der Autor des Artikels, ein seit 15 Jahren in Peking lebender französischer Auslandskorrespondent, beschreibt sein Leben in der chinesischen Hauptstadt. Derzeit präsentiere es sich ihm in drei Farben: grün, gelb und rot. Um in ein Geschäft, ein Büro oder einfach nur zum Friseur zu gehen, müsse er sein Mobiltelefon zücken und einen QR-Code scannen. Mehrere Minuten brauche es, um das immer komplizierter und detaillierter werdende elektronische Formular auszufüllen: „Foto, Name, Vorname, Pass- oder Ausweisnummer, Kontrolle der Telefonnummer, eine Bescheinigung, Peking nicht verlassen zu haben, sowie die Eintragung der Körpertemperatur vom selben Tag durch einen Wächter mit einem Thermometer, das er an Stirn oder Handgelenk hält“. Auf einem ausgedruckten Formular müssten sodann die Telefonnummer und erneut die Temperatur bestätigt werden.

Grün bedeutet: Man hat keinerlei Symptome und hat seinen Standort nicht verlassen, man kann das Geschäft oder Büro betreten. Gelb heißt: „Ich bin in einem Risikogebiet gewesen oder habe Kontakt mit einer kranken Person gehabt. Dann soll ich in Quarantäne gehen“. Bei Rot hat man die COVID-19-Symptome: „Die Wächter sollen mich unverzüglich der Isolierung zuführen und die Polizei rufen“. 

Keine simple Nachverfolgungs-App auf freiwilliger Basis

Welches bessere Hilfsmittel gebe es wohl für die Polizei, fragt der Journalist, „als diese kleine Box, die mich nie verlässt? Doch dieser QR-Code verweist nicht - wie in Europa - auf eine simple Nachverfolgungs-App auf freiwilliger Basis, es ist das Zeichen eines Regimes, das seine ganze Kraft in den Dienst der Kontrolle seiner Bevölkerung gestellt hat“. Peking mit seinen 23 Millionen Einwohnern sei „keine Stadt, wo der Wind der Freiheit weht; wir sind hier an permanente Kontrollen und an ein Leben unter dem Auge von Millionen Überwachungskameras gewöhnt. Die Epidemie markiert eine neue Etappe in diesem Sicherheitsirrsinn“.

Alle großen Städte Chinas haben diese elektronische Überwachung übernommen. Von den 800 Millionen Internetnutzern des Landes seien 98 Prozent durch ihr Handy mit dem Web verbunden. Es habe auch die Kreditkarten und die Fahrscheine der U-Bahnen ersetzt. Damit wolle man eine digitale Wirtschaft durchsetzen, erklärt Jean-Pierre Cabestan, Professor für Politikwissenschaft in Hongkong und Autor einer Studie zum Thema „Big Brother Xi is watching you!“ Für die Chinesen sei die Digitalisierung sogar „zu einer Art Droge geworden, was sich die Regierung zunutze macht. Doch eine digitale Gesellschaft ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer offenen, demokratischen und freien Gesellschaft“. 

Alle sind Zielscheibe von Big Brother

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Seit etwa 15 Jahren habe China nach und nach den Zugang zum Internet eingeschränkt. Als die Chinesen vermehrt auf die sozialen Netzwerke zugriffen, „wurden die chinesischen Internetnutzer von einer Großen elektronischen Mauer eingesperrt, und sie können nun nicht mehr auf Google, Facebook, Twitter und viele westliche Medien zugreifen. Ziel ist es, ein riesiges chinesisches Intranet ins Leben zu rufen, ein nationales Netzwerk, in dem ausschließlich autorisierte Informationen im Umlauf sind“. 

Bis jetzt habe sich das Überwachungssystem der chinesischen Regierung darauf beschränkt, „die Dissidenten, die potentiellen Spione und die ausländischen Journalisten zu bespitzeln; doch fortan sind wir alle zur Zielscheibe dieses Big Brother geworden, denn man muss ja schließlich gegen die Epidemie kämpfen, oder?“, heißt es bitter ironisch im Journal du Dimanche.

Schon seit mehreren Jahren habe China geplant, „die großartigen Möglichkeiten des Internet, des Mobiltelefons, des GPS oder des Aufspürens mittels Bluetooth einzusetzen, um seine Kontrolle der Bevölkerung zu verstärken. Es glaubte, die verhängnisvolle Waffe mit den Überwachungskamera und der Gesichtserkennung gefunden zu haben. Die Behörden planen, drei Milliarden dieser Kameras im Rahmen des Big Data-Programms Skynet zu installieren, das heißt, zwei Kameras pro Einwohner. In Peking sind diese Apparate bereits überall vorhanden, doch leider gibt es nun das Problem, dass sie hinter einer Maske keinen Menschen mehr erkennen. Und heute trägt jeder eine“.

DT/ks

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