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Attentat von Würzburg: Konjunktur der Echokammer

Als angesichts des schrecklichen Attentates von Würzburg das öffentliche Leben kurz stillzustehen schien, setzte in den Echokammern der sozialen Medien ein Kampf um die Deutung des Ereignisses ein. Eine bedenkliche Entwicklung.
Nach Messerattacke in Würzburg
Foto: Nicolas Armer (dpa) | Trauerkerzen und Blumen liegen vor einem Kaufhaus in der Innenstadt, in dem ein Mann Menschen mit einem Messer attackiert hatte. Bei dem Angriff am 25.06.2021 hatte ein Somalier drei Frauen in einem Kaufhaus getötet.

Es gibt Momente, da bleibt das öffentliche Leben plötzlich stehen. Einen solchen Augenblick markiert das Attentat von Würzburg am vergangenen Freitag. Da ist der Schock angesichts dieses unmittelbaren Einbruchs tödlicher Gewalt in unseren Alltag und dann natürlich die Trauer um die Mordopfer und die Anteilnahme mit den Hinterbliebenen. Und ganz schnell natürlich auch die Frage: Wie konnte das passieren?

Es kann nicht immer schnelle Antworten geben

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Der Drang, auf diese Frage eine schnelle Antwort zu bekommen, ist verständlich. Aber was ist, wenn es diese schnellen Antworten nicht geben kann, einfach weil die Faktenlage noch nicht endgültig geklärt ist? Und damit sind wir bei einem anderen öffentlichen Leben, das sich sozusagen parallel zu dem realen, in den sozialen Medien ereignet. Hier konnte von Stillstand und Innehalten keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Es setzte sofort ein Kampf darum ein, wie denn diese Tat nun zu deuten sei.

Entscheidend für die Deutung war dabei nicht die Auseinandersetzung mit der Faktenlage, sondern welchem politischen und weltanschaulichen Lager man sich zugehörig fühlt. Die Einen wollten die Herkunft des Täters aus Somalia, seinen Status als subsidiär Schutzsuchender, seinen "Allahu akbar"-Ruf und das islamistische Material, das später in seiner Unterkunft gefunden worden ist, einfach ausklammern. Nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Auf der anderen Seite gingen die Schnellschüsse in diese Richtung: Wir haben es schon immer gewusst. Hier zeige sich das Ergebnis der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und überhaupt, die Kanzlerin trage persönliche Schuld und müsse endlich vor den Richter. 

Symptom für die aufgeheizte Stimmung im Land

So ist das Fanal von Würzburg zu einem Symptom geworden für die aufgeheizte politische Stimmungslage in diesem Land. Die Bereitschaft, die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen abzuwarten und sich erst dann ein Urteil zu bilden, schwindet. Der Wunsch nach klaren Antworten und der Glaube, die in der eigenen Filterblase zu finden, stehen für eine Sehnsucht nach Selbstbestätigung. Es geht um die Rechtfertigung der eigenen Haltung – Fakten, die sie unterstützen, zieht man heran; Fakten die sie in Frage stellen könnten, werden verworfen.

Gewiss, dieses Phänomen ist nicht neu. Schmerzlich ist aber, dass dieser Reflex, die Bedürfnisse der eigenen Echokammer zu befriedigen, offenbar stärker ist, als zu akzeptieren, dass man in solchen Augenblicken lieber schweigen, innehalten, beten sollte. Trauer darf nicht politisch instrumentalisiert werden – von keinem Lager.

Weitere Hintergründe lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

Themen & Autoren
Sebastian Sasse

Kirche

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28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig