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„Affenzirkus“

Eine Expertenanhörung im Bundestag zur Streichung des § 219a StGB offenbart Demokratie- und Toleranzdefizite. Von Stefan Rehder
Prozess gegen Ärztin
Foto: dpa | Auch der Prozess im November gegen Kristina Hänel wurde von Protesten begleitet.

Ich liebe meinen Beruf, ich mache meine Arbeit gern, ich finde es schön, Schwangerschaftsabbrüche zu machen und ich bin stolz auf mich“, schreibt Andrea Vogelsang auf Seite 227 ihres 1994 erstmals erschienenen Buches „Die Höhle der Löwin: Geschichten einer Abtreibungsärztin“. Im März diesen Jahres erschien das Buch erneut. Im selben Verlag, mit neuem Untertitel („Geschichten einer Ärztin über Abtreibung“) und – neuer Seitenzahl. Diesmal sind es 218. Es gebe, wird kolportiert, Menschen, die das witzig finden. Ist es aber nicht. Denn Andrea Vogelsang heißt in Wahrheit Kristina Hänel, wie die Ärztin mittlerweile selbst bei verschiedenen Gelegenheiten bekannte. Die Frau, die in der 1994er Version ihres Buches gleich zu Beginn einen Mann erwähnt, „der mir, kaum dass ich auf der Welt war, diesen ungeheuren Schmerz zugefügt hat, bevor ich überhaupt eine Chance hatte, in ihr meinen Platz zu finden, und der damit mein Leben geprägt hat“, beschäftigt seit Monaten die Republik. Seit das Amtsgericht Gießen am 24. November des vergangenen Jahres Hänel wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen (§ 219a Strafgesetzbuch) zu einer Geldstrafe von 6 000 Euro (40 Tagessätze zu 150 Euro) verurteilte, vergeht praktisch keine Woche, in der die Ärztin oder die Abtreibungslobby, die die 61-Jährige zu ihrer Galionsfigur erkor, nicht für neue Schlagzeilen sorgen. Das war auch vergangene Woche nicht anders, als sich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages in einer turbulent verlaufenden Öffentlichen Anhörung mit drei Gesetzentwürfen befasste, die allesamt ein Urteil wie das des Gießener Amtsgerichts verunmöglichen wollen. Während die „Linke“ (Bundestagsdrucksache 19/93) und Bündnis 90/Die Grünen (Bundestagsdrucksache 19/630) mit ihren Gesetzentwürfen eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a StGB erstreben, will die FDP-Fraktion den Paragrafen so novellieren, dass nur noch „grob anstößige“ Werbung für vorgeburtliche Kindstötungen mit Strafe bewehrt wird (Bundestagsdrucksache 19/820). Im Grunde will auch die SPD das Werbeverbot für Abtreibungen kippen. Aus Rücksicht auf den Koalitionspartner CDU/CSU, der – ebenso wie die AfD – das Werbeverbot für Abtreibungen erhalten will, hatte sie jedoch den in einer Nacht- und Nebelaktion bereits in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf wieder zurückgezogen. Im Gegenzug beauftragte das Bundeskabinett Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) mit der Ausarbeitung eines einvernehmlichen Vorschlags. Kein Wunder also, dass auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Christian Lange (SPD), der Öffentlichen Anhörung beiwohnte.

„Das ist keine Sportveranstaltung“

Die musste wegen des ungewöhnlich hohen Besucherandrangs kurzerhand vom Paul-Löbe-Haus in das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus verlegt werden. Als der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Stephan Brandner (AfD), pünktlich um 18.30 Uhr die Anhörung eröffnete, war die Tribüne im Saal 3.101 bis auf den letzten Platz besetzt. Nicht etwa mit enttäuschten Fußballfans, die auf der nahegelegenen Fan-Meile am Brandenburger Tor eine halbe Stunde zuvor das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft verfolgt hatten, sondern mit jugendlichen Aktivisten der Abtreibungslobby. Die waren offenbar angehalten worden, die Anhörung unter Missachtung der Hausordnung mit Beifalls- und Missfallenskundgebungen zu stören, was Brandner mit dem Hinweis, dies sei „keine Sportveranstaltung“ zunächst unterband. Als nach rund einer Stunde dann etwa ein Dutzend der Aktivisten aufstand und schweigend weiße T-Shirts mit Aufdrucken wie „Abtreibung ist kein Verbrechen“, „Ich habe abgetrieben“ und „Ich mache Schwangerschaftsabbrüche“ präsentierten, wies er einen Beamten an, die Aktivisten aus dem Saal zu geleiten. Er verstehe nicht, warum bei einem derart ernsten Thema ein solcher „Affenzirkus“ veranstaltet werde, machte der AfD-Politiker seinem Ärger Luft.

Als der Vorsitzende des Rechtausschusses später noch darauf aufmerksam wurde, dass entgegen den zulässigen Gepflogenheiten aus der Anhörung Kurznachrichten via Twitter versandt wurden, drohte er damit, die „gesamte Tribüne“, auf der auch Vertreter der Presse, Mitarbeiter von Abgeordneten sowie die Vorsitzende des Bundesverband Lebensrecht (BVL), Alexandra Linder, Platz genommen hatten, räumen zu lassen. Nach einer kurzen Beratung mit den Obleuten der Fraktionen besann sich Brandner jedoch eines Besseren und verwarnte die Zuschauer mit der aus Sportveranstaltungen leidlich bekannten „gelben Karte“, nicht ohne die Verbliebenen als „sehr beschränkt denkende Menschen“ zu bezeichnen.

Mangel an Kinderstube

Zirkusreife Leistungen, die einen eklatanten Mangel an Demokratieverständnis und Toleranz offenbarten, gab es jedoch nicht nur auf der Tribüne zu bestaunen. Auch unter den geladenen Sachverständigen und Ausschussmitgliedern ließ der eine oder andere diesbezüglich ein gerütteltes Maß an Nachschulungsbedarf erkennen. So weigerten sich etwa die Bundesvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung – Pro Familia, Daphne Hahn, die Berliner Fachärztin für Frauenheilkunde, Christiane Tennhardt, sowie die Kommissionsvorsitzende Europa- und Völkerrecht des Deutschen Juristenbundes, Ulrike Lembke, jeweils Fragen von Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion nach dem Stellenwert des Lebensrechts ungeborener Kinder zu beantworten. Ihre Begründung lautet: Es gehe bei der Anhörung schließlich um den Paragrafen 219a und nicht um den Paragrafen 218.

Einen Mangel an Toleranz, wenigstens aber an Kinderstube offenbarten Lembke und der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel, als sie Passagen des Vortrags ihres Augsburger Kollegen Michael Kubiciel mit spöttischem Lächeln und abwertenden Handbewegungen bedachten. Der von der Union berufene Sachverständige führte aus, dass der Paragraf 219a gleich in mehrfacher Hinsicht dem Lebensschutz diene. Nicht nur, weil „Werbung für“ sowie das „öffentliche Anbieten“ von Abtreibungen den Entschluss zu einem Abbruch festigen oder gar erst hervorbringen könne, sondern auch, weil er Frauen „vor der Kommerzialisierung ihrer Notlage“ schütze, die dem Lebensschutz dienen sollende Beratung „flankiere“ und – wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt – im Strafrecht zum Ausdruck bringe, dass eine Abtreibung kein „normaler Vorgang“ sei.

Information ist nicht gleich Werbung

Zuvor hatte der Mannheimer Gynäkologe Michael Kiworr, Mitglied der „Ärzte für das Leben“, der von der AfD als Sachverständiger benannt worden war, gezeigt, dass eine Abgrenzung von Werbung und Information – anders als wiederholt behauptet – sehr wohl möglich sei. Zwar könne auch Werbung Informationen enthalten, doch auch dann ließe sich – mit Blick auf den Initiator – beides auseinanderhalten. Wo Information gesucht werde, liege die Initiative beim Suchenden. Werde hingegen geworben, liege die Initiative beim Werbenden. Und genau das hat die zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilte, sich als Justiz-Opfer stilisierende Kristina Hänel getan. Mehr noch: Wie das Gießener Amtsgericht in seiner schriftlichen Urteilsbegründung (Az: 507 Ds 501 Js 15031/15) ausführt, hat Hänel sowohl „vorsätzlich“, wie auch „ihres Vorteils wegen“ gehandelt. „Für Jedermann“ sei erkennbar, „dass die Angeklagte es auf ihrer Internetseite nicht bei einer reinen Information der einzelnen Möglichkeiten über den Schwangerschaftsabbruch belässt“. Vielmehr ergebe sich aus dem dort Offerierten „eindeutig, dass die Leistungen gegen ärztliches Honorar geleistet werden, nämlich entweder über die Krankenkassen oder durch Barzahlung, wobei das Bargeld direkt zum Termin mitzubringen ist“. Das aber sei „die klassische Form der Patientenakquise“. Auch habe dadurch sie „einen klaren Wettbewerbsvorteil“ gegenüber den Ärzten erzielt, „die sich an das Werbeverbot halten“, so das Gericht weiter.

Der Auftritt des Sophisten

Bereits 2009 hatte die Staatsanwaltschaft Gießen gegen Hänel „wegen eines gleichlautenden Tatvorwurfs“ ermittelt, das Verfahren damals jedoch wegen eines „unvermeidbaren Verbotsirrtums“ mit „ausführlicher Begründung“ eingestellt. „In Kenntnis der Strafbarkeit“ ihres Tuns habe Hänel „jedoch weiterhin auf ihrer Webseite mit der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen“ geworben. In dem neuerlichen Verfahren, das im November des vergangenen Jahres schließlich zur Verurteilung der Ärztin führte, habe der Angeklagten nicht mehr abgenommen werden können, dass sie davon ausgegangen sei, ihr Handeln sei legal. Statt eines „Verbotsirrtums“ habe ihrem Verhalten nun „ein hartnäckiges Negieren der geltenden Rechtsordnung“ zugrunde gelegen. An deren Umsturz versuchte sich bei der Anhörung niemand so dreist wie Merkel. Der beeindruckend eloquente 68-Jährige, Mitglied im Deutschen Ethikrat und des Wissenschaftlichen Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung, der deutschen Denkfabrik des „neuen Atheismus“, zählt zu jenem Typus Denker, vor dem schon Aristoteles in seinen „Sophistischen Widerlegungen“ warnte. Solchen nämlich, die mit „scheinbarer, nicht wirklicher Weisheit Geschäfte“ machten. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das 1993 eine reine Fristenregelung verwarf und befand, der Bundesgesetzgeber dürfe „den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens nur dann partiell zurücknehmen (...), wenn er an dessen Stelle ein anderes wirksames Schutzgesetz setzt“, verpflichte den Staat, „ein ausreichendes Angebot und flächendeckendes Angebot sowohl ambulanter als auch stationärer zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ vorzuhalten. Ärzte, die in diesem Rahmen vorgeburtliche Kindstötungen durchführen, erfüllten – so Merkel – daher „einen Staatsauftrag“.

Ihnen Strafe anzudrohen, wenn sie darauf öffentlich hinwiesen, sei daher „schlicht verfassungswidrig“. Fragt sich nur, warum, wenn dem so wäre, dann noch niemand Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben hat? Offensichtlich schätzen selbst jene, die ein „Recht auf Abtreibung“ postulieren, die Erfolgsaussichten einer solchen Klage nicht so optimistisch ein wie der Hamburger Strafrechtler. Der wiederum wäre kaum er selbst gewesen, wenn er den Mitgliedern des federführenden Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz und des mitberatenden Gesundheitsausschusses nicht noch ein vergiftetes Angebot gemacht hätte. Anstelle der ersatzlosen Streichung des Paragrafen 219a empfahl Merkel den Bundestagsabgeordneten „grob anstößige“ Werbung für Abtreibungen künftig als „Ordnungswidrigkeit“ einzustufen. Denkbare Offerten wie „Sie erwarten ein behindertes Kind? Das muss nicht sein“, könnten Menschen mit Behinderungen seelisch verletzen und sollten auch künftig verboten bleiben. Den Befürwortern des Erhalts des Werbeverbots für Abtreibung hielt der neuzeitliche Sophist vor, sie gäben ihrer Klientel bislang nur „Steine statt Brot“. Schließlich werde die Mehrzahl der Verfahren eingestellt und kaum jemand wegen des Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen verurteilt.

Abtreibungslobby will Deutungshoheit

Dass es den Verteidigern des Werbeverbots um ganz andere Dinge geht, als Ärzte vor Gerichte zu bringen, machten die von der Union geladenen Sachverständigen Katharina Jestaedt, Stellvertretende Leiterin des Kommissariats der deutschen Bischöfe, und Andrea Redding, Geschäftsführerin des Vereins „Donum Vitae“, deutlich. Trotz unterschiedlicher Bewertung der geltenden Rechtslage – während Jestaedt den 1995 gefundenen Kompromiss im Hinblick auf den Schutz des ungeborenen Lebens als „nach wie vor nicht ausreichend“ bezeichnete, sprach Redding von einem „tragfähigen Kompromiss“ – betonten beide, der Paragraf 219a schütze in erster Linie davor, dass vorgeburtliche Kindstötungen im öffentlichen Bewusstsein als „normale“ medizinische Leistungen betrachtet werden könnten. Doch genau darum geht es jenen, die ihn zu Fall bringen wollen. Oder wie es Andrea Vogelsang alias Hänel 1994 auf den Punkt brachte: „Und natürlich geht es um Macht (...). Um die Macht der Frauen zu gebären, Leben zu schenken oder eben nicht zu schenken. Diese ungeheure Macht, die Männer niemals erreichen werden, trotz aller technischen Möglichkeiten, trotz aller Zerstörung von Leben, trotz der ständigen Enteignung der Frauenkörper und -seelen.“ Und weiter: „Wie schön wäre es, wenn wir Frauen diese Macht genießen, stolz sein könnten auf alle diese Fähigkeiten, die uns allein zu eigen sind! Unsere Lust, unsere Sexualität, unsere Fruchtbarkeit, unsere Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen Kinder (...), die Fähigkeit, abtreiben zu können, wann immer wir wollen (...).“

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