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Sophia Kuby: „Moralisch äußerst bedenklich“

Leihmutterschaft stürzt Kinder in ein rechtliches und emotionales Chaos, meint die Menschenrechtsexpertin Sophia Kuby
Sophia Kuby
Foto: Bruce Ellefson

Frau Kuby, Sie lehnen Leihmutterschaft ab. Warum?

So verständlich und natürlich der Kinderwunsch bei Erwachsenen ist, so inakzeptabel ist es, gleich mehrere Menschenrechte für die Verwirklichung dieses Wunsches zu opfern.

Wieso ist dies bei Leihmutterschaft der Fall?

Der wohl folgenreichste Rechtsverstoß ist, dass man ein Kind seiner biologischen Identität beraubt, und zwar geplant und vorsätzlich. Im besten Fall hat das Kind, das aus einem Leihmutterschaftsarrangement entsteht, Erbgut von einem oder beiden Eltern, mit denen es anschließend aufwächst. Im schlechtesten – und häufigeren – Fall wird es sein Leben lang mit dem Schicksal einer vollkommen unbekannten Herkunft zurechtkommen müssen.

„Ein typisches Leihmutterschaftsarrangement passiert heute über Grenzen hinweg, (...)“

Ein typisches Leihmutterschaftsarrangement passiert heute über Grenzen hinweg, besonders dort, wo die Praxis – wie in Deutschland und den meisten europäischen Ländern – illegal ist. Es wird also auf dem freien Markt über das Internet die Eizelle von der Studentin in Kalifornien gekauft, das Sperma von der anonymen Samenbank, in Israel wird die Befruchtung durchgeführt und einer Frau in Indien eingepflanzt, die es dann neun Monate austrägt.

„Somit kann das Baby nicht einreisen und hängt – manchmal über Jahre – im rechtlichen Niemandsland.“

Das Kind wird normalerweise mit Kaiserschnitt geboren und der Leihmutter sofort weggenommen. Anschließend reisen die Auftraggeber aus dem Ausland an, um das Baby abzuholen. Dann allerdings beginnt erst die rechtliche Odyssee. Nun soll das Baby als Kind der Auftraggeber anerkannt werden, was Staaten, in denen Leihmutterschaft verboten ist, aus gutem Grund ablehnen. Bei Einreise kann nicht nachgewiesen werden, dass die Erwachsenen tatsächlich die rechtlichen Eltern des Kindes sind, eine Adoptionsbestätigung liegt nicht vor und die Frau hat das Kind nicht geboren. Somit kann das Baby nicht einreisen und hängt – manchmal über Jahre – im rechtlichen Niemandsland.

„All dies ist nur die Spitze des Eisbergs des rechtlichen Chaos, in das man einen gerade geborenen Mensch stürzt.“

Behörden weisen die Zuständigkeit von sich, da noch nicht einmal klar ist, welche Nationalität das Kind hat. Um in meinem Beispiel zu bleiben: ist es nun US-Bürger, da die genetische Mutter kalifornische Studentin ist? Oder Inder, da es dort ausgetragen und geboren wurde? Oder hat es die Nationalität der Auftraggeber? All dies ist nur die Spitze des Eisbergs des rechtlichen Chaos, in das man einen gerade geborenen Mensch stürzt.

Neben dem rechtlichen Chaos haben Sie die Gefahr des „Beziehungschaos“ erwähnt, das nicht dem Wohl des Kindes diene. Können Sie das an einem Beispiel illustrieren?

Leider ist auch hier das Wort „Chaos“ angemessen. Wenn man die natürlichen Kriterien für familiäre Beziehungen an Leihmutterschaft anlegt, kann das Kind bis zu sechs Erwachsene haben, die ihm gegenüber Elternrechte geltend machen können. Im genannten Beispiel gibt es die genetische Mutter (kalifornische Studentin), den genetischen Vater (anonymer Spender), die biologische Mutter (Leihmutter), ihren Ehemann, der nach so gut wie allen Rechtsordnungen automatisch als Vater anerkannt wird, und zu guter Letzt der oder die Auftraggeber (Single, Mann, Frau oder gleichgeschlechtliches Paar). Wer soll rechtlich anerkannt werden, wenn es zu einem Konflikt kommt? Diejenigen, die ihr Erbgut zur Verfügung gestellt haben, die Mutter, die das Kind ausgetragen hat oder diejenigen, die Geld gezahlt haben? Bis zur Geburt des Kindes kann es bereits einen erbitterten Rechtsstreit darüber geben, wem es „gehört“.

„Das Kind ist das erste Opfer, aber bei weitem nicht das einzige.“

Das Kind ist das erste Opfer, aber bei weitem nicht das einzige. Gleich danach folgt die Leihmutter, die aus ihrem Bauch ein lukratives Geschäft macht, aber oft unterschätzt, wie sehr sich in neun Monaten eine emotionale und körperliche Bindung zum heranwachsenden Kind in ihrem Bauch aufbaut. Es findet zum Beispiel ein ständiger hormonaler Austausch zwischen Mutter und Kind statt. Nicht umsonst unterschreibt eine Leihmutter eine ganze Liste von Klauseln, die sie zum Verzicht auf rechtliche Ansprüche zwingen, sollte sie sich emotional so an das Kind binden, dass sie es nach der Geburt nicht mehr abgeben will. Eine weitere Ebene des Beziehungschaos droht bei den Auftraggebern, also den Erwachsenen, die das Kind aufziehen wollen.

Nämlich?

Was, wenn die Beziehung zwischen Auftragserteilung und Abholung des Kindes zerbricht? Kann man den Auftrag stornieren? Was passiert dann mit dem Kind? Und was, wenn die Auftraggeber mit der Qualität des Kindes nicht einverstanden sind, so wie es im Fall des „Babys Gammy“ in Thailand passiert ist. Dort wurde bei einem der beiden Zwillinge in utero das Downsyndrom diagnostiziert. Das australische Ehepaar weigerte sich, das behinderte Kind zu nehmen und drängte die Leihmutter zur Abtreibung des Kindes mit Downsyndrom. Nun weigerte diese sich, trug beide aus, bekam weniger Geld von den Auftraggebern, die das gesunde Kind mitnahmen und die junge Thailänderin mit dem anderen Zwilling zurückließen.

„Ein Kind, das aus Leihmutterschaft entsteht, hat also vor Erreichung des ersten Lebensmonats im schlimmsten Fall bereits drei Trennungen hinter sich“

Ein Kind, das aus Leihmutterschaft entsteht, hat also vor Erreichung des ersten Lebensmonats im schlimmsten Fall bereits drei Trennungen hinter sich – genetisch, biologisch, sozial. Aus der langen Praxis der Adoption ist bekannt, wie schwer das Schicksal des Verlassenwerdens von den biologischen Eltern auf einem Menschen wiegen kann. Diese Belastung ist bei Leihmutterschaft um ein Vielfaches größer.

Sind deutsche Behörden und Gerichte bei der Anerkennung von im Ausland in Auftrag gegebenen Leihmutterschaften zu nachgiebig?

Wenn Behörden oder Gerichte ein Leihmutterschaftsarrangement anerkennen, dann aus einer berechtigten Sorge um das Wohl des Kindes, das, wie bereits erwähnt, oft jahrelang in einem rechtlichen Limbo leben muss, inklusive vorübergehendem Aufenthalt in Waisenheimen, bei Pflegeeltern et cetera. Allerdings ist die Anerkennung einer de facto-Situation dennoch falsch, da man dadurch Anreize zur Inanspruchnahme von Leihmüttern im Ausland unter Missachtung der deutschen Rechtsordnung schafft.

„Ist das Kind erst einmal geboren, gibt es keine Ideallösung mehr, also eine, bei der kein Beteiligter Schaden davonträgt.“

Ist das Kind erst einmal geboren, gibt es keine Ideallösung mehr, also eine, bei der kein Beteiligter Schaden davonträgt. Es ist von größter Wichtigkeit, einen Weg zu finden, der abschreckend wirkt statt Anreize zu schaffen. Genau das tun Staaten wie Italien, indem sie das Kind bei Einreise in staatliche Obhut nehmen und es in den Adoptionsprozess eingliedern. Dies hat mehrere Vorteile gegenüber einer Anerkennung der de facto Situation: Adoptiveltern durchlaufen einen sorgfältigen Auswahlprozess, werden auf Tauglichkeit geprüft und auf den Schritt über Monate vorbereitet. Es wird also sichergestellt, dass die Erwachsenen sozial, psychisch und finanziell in der Lage sind, ein Kind aufzuziehen. Nichts davon ist der Fall bei Auftraggebern eines Leihmutterschaftsarrangements.

„Darüber hinaus wirkt eine solche Handhabung auf potenzielle Auftraggeber abschreckend, (...)“

Es verstößt auch nicht gegen das Kindeswohl, da sich das Baby in der Regel noch nicht emotional an die Eltern gebunden hat, die mit ihm gerade ein paar Stunden oder Tage verbracht haben. Darüber hinaus wirkt eine solche Handhabung auf potenzielle Auftraggeber abschreckend, da das Risiko groß ist, nach beträchtlichem finanziellen Investment trotzdem ohne Kind dazustehen.

Die FDP etwa will zwischen kommerzieller und altruistischer Leihmutterschaft unterscheiden und Letztere legalisieren. Für wie realistisch halten Sie es, dass Frauen selbstlos neun Monate lang das Kind einer anderen Frau austragen?

Sicherlich finden sich hin und wieder Schwestern, Cousinen oder enge Freundinnen, die bereit sind, ein Kind auszutragen. Aber das ist eine kleine Minderheit und selbst hier kann man davon ausgehen, dass die Leihmutter unter der Hand finanziell kompensiert wird. Die große Mehrheit ist ein mittlerweile boomender Markt, der auf jährlich rund fünf Milliarden US-Dollar geschätzt wird.

„All das ist genauso der Fall, wenn kein Geld fließt.“

Aber ganz abgesehen von der Quantität führt die Legalisierung der sogenannten „altruistischen“ oder „nicht-kommerziellen“ Leihmutterschaft zu denselben Problemen wie die kommerzielle. Die genetische Herkunft des Kindes, die genetische und biologische Trennung, die dem Kind geplant und vorsätzlich zugemutet werden. All das ist genauso der Fall, wenn kein Geld fließt. Das Geltendmachen von Elternrechten könnte sogar im nicht-kommerziellen Fall noch häufiger vorkommen, da Verwandte oder enge Freunde mit den sozialen Eltern und dem Kind weiterhin Umgang haben werden und somit eine noch engere emotionale Bindung während und nach der Schwangerschaft wahrscheinlich ist.

„Eine moralisch äußerst bedenkliche Praxis wird nicht dadurch gut, dass sie umsonst ist.“

Grundsätzlich gilt: Eine moralisch äußerst bedenkliche Praxis wird nicht dadurch gut, dass sie umsonst ist. Und Leihmutterschaft ist nicht nur deshalb moralisch äußerst bedenklich, weil für die Dienstleistung Geld fließt, sondern aus den zahlreichen genannten Gründen.

Sie beobachten auch die internationale Debatte um die Leihmutterschaft. Halten Sie eine internationale Ächtung der Leihmutterschaft für erreichbar?

Derzeit verhandelt die Haager Konferenz für internationales Privatrecht, der 82 Mitgliedsstaaten und die EU angehören, eine internationale Konvention zur Leihmutterschaft. Noch ist das Ergebnis offen, aber wenn sich das Anliegen durchsetzt, das rechtliche Chaos, das aus internationaler Leihmutterschaft entsteht, zu regeln, wird es letztlich auf eine Erleichterung oder gar verpflichtende Anerkennung der Eltern-Kind-Beziehung hinauslaufen. Allerdings ist es zu früh, darüber eine Prognose zu wagen.

„In vielen europäischen Ländern, wie etwa in Belgien, wird internationale Leihmutterschaft heute toleriert, wenn nicht gar im Land praktiziert, (...)“

Außerdem messen die Mitgliedsstaaten einem solchen Vertrag unterschiedliche Verbindlichkeit bei. Während er etwa in Frankreich Verfassungsrang hätte, wäre er in Deutschland nur von normalem Gesetzesrang. Ich sehe aber mit Sorge, dass sich der freie Markt mit großer Geschwindigkeit Bahn bricht bei gleichzeitiger Passivität beziehungsweise Desinteresse des Gesetzgebers. In vielen europäischen Ländern, wie etwa in Belgien, wird internationale Leihmutterschaft heute toleriert, wenn nicht gar im Land praktiziert, obwohl sie nicht ausdrücklich erlaubt ist und diversen anderen Rechtsnormen widerspricht.

Sophia Kuby leitet die Abteilung für Ausbildungsprogramme und Kooperation der Organisation ADF International mit Sitz in Wien. ADF International ist eine Anwaltsorganisation, die für Religions- und Gewissensfreiheit, Ehe und Familie, sowie Lebensrecht an internationalen Institutionen und Gerichtshöfen eintritt. Kuby hat in München und Santiago de Chile Philosophie studiert und von 2010–2018 in Brüssel gearbeitet, zuletzt als Leiterin des EU-Büros von ADF International.

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