Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Bonn

Norbert Blüm: Der Christlich-Soziale

Er war das letzte politische Urgestein der Bonner Republik: Norbert Blüm ist im Alter von 84 Jahren gestorben.
Norbert Blüm
Foto: Rolf Vennenbernd (dpa) | Am Herzen lag Blüm auch die Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Und als Keimzelle der Familie wiederum sah er die Ehe von Mann und Frau.

Politisches Urgestein - dieses Charaktermerkmal traf zuletzt nur noch so richtig auf ihn zu: Norbert Blüm. Er war der einzige, der die gesamte Regierungszeit Helmut Kohls über im Kabinett saß. Entsprechend stark drückte er als Arbeitsminister auch dieser Ära seinen Stempel auf. Kohl, darin Adenauer durchaus ähnlich, wusste bei aller Wertschätzung für liberale Marktpolitik, wie wichtig für seine Machtsicherung der christlich-soziale Flügel seiner Partei ist. Eine Volkspartei muss breit aufgestellt sein. Blüm war Kohls Mann für die Arbeiter. Doch dass Blüm auch den Spielraum bekam, Akzente zu setzen -  etwa bei der Einführung der Pflegeversicherung - war nicht nur reine Taktik, dahinter stand in der Union der 80er und 90er auch der programmatische Ehrgeiz, aus den Prinzipien der katholischen Soziallehre praktische Politik zu machen.

Plakate kleben, Flugblätter verteilen, vor Ort Gesicht zeigen

Ein Gutteil der Parteifunktionäre, aber natürlich auch der CDU-Wähler war damals noch im Verbandswesen des sozialen Katholizismus zu politischen Menschen geworden. Die Union war zwar seit ihrer Gründung einer Sammlungsbewegung verschiedener nicht-linker Strömungen, aber der christlich-soziale Flügel, der seine personellen Ressourcen aus KAB oder Kolping bezog, sorgte für die Manpower. Die christlich-sozialen Fußtruppen waren es, die die Plakate klebten, Flugblätter verteilten, vor allem aber auch vor Ort Gesicht zeigten, sonntags beim Plausch nach der Messe oder abends in der Kneipe mit den Kollegen. Sie waren die Basis.

Norbert Blüm war aber nicht nur der Exponent seines  Milieus. Natürlich, seine Karriere vom Werkzeugmacher bei Opel über den Doktor der Philosophie hin  zum Bundesminister ist geradezu die klassische Aufstiegsgeschichte für dieses Umfeld. Blüm wurde aber nie zum Parteisoldaten, zum Apparatschik. Ganz im Gegenteil: Mit Helmut Kohl entzweite er sich im Zuge der Spendenaffäre. Aber auch mit der Merkel-Union fremdelte Blüm. Das zeigte sich 2003, beim Parteitag von Leipzig. Damals vollzog die Partei unter der Regie der noch relativ frischen Parteivorsitzenden aus Sicht ihrer Kritiker eine neoliberale Wende.

Reformen innerhalb des bestehenden Systems

Der Streitpunkt: Die Krankenversicherung sollte vom Lohn abgekoppelt werden. So ein Prämienmodell stellte für Blüm aber einen Bruch mit den christlich-sozialen Prinzipien dar. Blüm argumentierte hier durchaus konservativ: Er wollte keinen Systemwechsel, sondern Reformen innerhalb des bestehenden Systems, das für ihn das Erfolgsmodell Deutschlands war. Dass seine Kritiker, Liberale wie Friedrich Merz, von ihren Anhängern in diesem Zusammenhang als konservativ bezeichnet wurden, blieb ihm immer unverständlich. Als Christlich-Sozialer begriff er sich sozusagen als Personifikation der Synthese zwischen Sozial- und Individualprinzip, die aus seiner Sicht auch entscheidend für die Idee einer Soziale Marktwirtschaft war. Im reinen Kapitalismus sah er hingegen eine destruktive Kraft. Am Herzen lag Blüm auch die Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Und als Keimzelle der Familie wiederum sah er die Ehe von Mann und Frau: In einer seiner letzten großen öffentlichen Interventionen warnte er davor, die Verpartnerung homosexueller Paare mit der Ehe gleichzustellen.

Und auch in der Flüchtlingskrise ergriff Blüm noch einmal das Wort: Um auf die schlechten humanitären Verhältnisse in den Lagern in Nordgriechenland hinzuweisen, übernachtete er in Idomeni 2016 sogar eine Nacht in dem Camp, aus Solidarität mit den 12.000 Menschen, die damals dort untergebracht waren. In der Flüchtlingspolitik  teilte Blüm die Linie der Kanzlerin. Wie überhaupt, nachdem Merkel nach Wahlniederlagen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wieder einen Kurswechsel vollzogen hatte, er ähnlich wie sein enger Freund Heiner Geißler in  Angela Merkel wohl zum Schluss tendenziell eher die erfolgreiche Reform-Kanzlerin gesehen hat.

Er wusste sich in den Medien zu inszenieren

Lesen Sie auch:

Blüm wusste wie wenige andere in seiner Politikgeneration, sich in den Medien zu inszenieren. Sein stärksten Waffen dabei waren Humor und Selbstironie. Von seinen Auftritten in "Rudis Tagesschow", in den 80er Jahren ein Zuschauerquoten-Gigant, bis zu Büttenreden im Fernseh-Karneval, Blüm gelang es, Fans für sich zu gewinnen, auch jenseits der Parteianhänger. Wie groß seine Beliebtheit auch jetzt noch, zwei Jahrzehnte nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik ist, zeigte zuletzt, die große öffentliche Anteilnahme als er vor wenigen Wochen in einem letzten Interview mit der "Zeit" über seine schwere Krankheit sprach: Er saß im Rollstuhl, in Folge einer Blutvergiftung war er an Armen und Beinen gelähmt.

In kirchenpolitischen Positionen, auch hier Geißler ähnlich, hegte Blüm sicherlich eher Sympathien für den Reformflügel. Das änderte aber nichts daran, dass die Kirche und ihr Milieu die Welt waren, in der sich Norbert Blüm zuhause gefühlt hat: Seine Frau Marita hatte er an der Universität Bonn in einer Vorlesung des Theologie-Professors Joseph Ratzinger kennengelernt.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Sebastian Sasse Angela Merkel Heiner Geißler Helmut Kohl Humanität Norbert Blüm Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Soziale Marktwirtschaft

Weitere Artikel

Friedrich Merz konnte in dieser Woche lernen, was es heißt, Parteifeinde zu haben. Die schärfste Kritik kam aus den eigenen Reihen.
27.07.2023, 13 Uhr
Sebastian Sasse

Kirche

Die Heilsquelle der Christen betrachten: Das Kreuz steht im Mittelpunkt authentischer Kirchenreformen.
28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig