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Nach al-Bagdadis Tod: Christen drohen Vergeltungsakte

Orientalische Christen könnten nach dem Tod des ehemaligen IS-Anführers Abu Bakr al-Bagdadi zum „Sündenbock für aus Sicht der Muslime islamfeindliche Aktionen des Westens“ werden, meint das päpstliche Hilfswerk Kirche in Not.
Nach dem Tod Abu Bakr al-Bagdadis
Foto: Furqan Media / Handout (FURQAN MEDIA) | Dieses im Jahr 2014 veröffentlichte Foto zeigt den ehemaligen IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi kurz nach der Ausrufung des sogenannten Kalifats während des Freitagsgebets.

Nach dem Tod des Anführer des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS), Abu Bakr al-Bagdadi bei einer US-Militäroperation ist die Gefahr, die von der Terrormiliz für Christen und andere religiöse Minderheiten ausgeht, noch lange nicht gebannt. Diese Einschätzung äußert Berthold Pelster vom internationalen päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ gegenüber der „Tagespost“.

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Denkbar seien nun Racheakte einzelner IS-Kämpfer oder kleiner islamistischer Zellen, die als Vergeltungsmaßname für al-Bagdadis Tod Sprengstoffanschläge oder Selbstmordattentate auf Christen und christliche Einrichtungen verüben könnten. Orientalische Christen würden so zum „Sündenbock für aus Sicht der Muslime islamfeindliche Aktionen des Westens“, meint der Experte für das Verhältnis zwischen Christentum und Islam.

Al-Bagdadi galt als der meistgesuchte Mann der Welt. Am 26. Oktober war er von einem US-Kommando im Nordwesten Syriens gestellt worden und tötete sich mithilfe eines Sprengstoffgürtels selbst. Am Donnerstag veröffentlichte das US-Verteidigungsministerium erstmals Fotos und kurze Videosequenzen des Einsatzes. US-Präsident Donald Trump stellte den Tod al-Bagdadis als großen Sieg im Kampf gegen den Terror dar. Die Welt sei nun sichererer geworden, so Trump.

"Faktisch haben ganz andere Leute
im IS die strategischen
und taktischen Fäden gezogen"
Berthold Pelster, Kirche in Not

Unklar ist, wie sehr der IS tatsächlich vom Tod al-Bagdadis beeinträchtigt ist. Für Pelster fällt nun zwar die symbolische Führungsfigur weg, die der ehemalige Anführer als „Kalif“ und somit religiös-politisches Oberhaupt eingenommen habe. „Faktisch haben aber ganz andere Leute im IS die strategischen und taktischen Fäden gezogen: Unter den Kämpfern und Strategen des IS waren zahlreiche hochqualifizierte Mitarbeiter und Experten des früheren Regimes von Saddam Hussein, aus Verwaltung, Militär und Geheimdiensten.“ Etliche von ihnen, so Pelster, dürften nach der militärischen Niederschlagung des IS im Untergrund verschwunden sein und von dort weiter operieren. „Das können und werden sie auch ohne Abu Bakr al-Bagdadi tun.“

Pelster verweist zudem auf Schätzungen aus westlichen Militärkreisen, die davon ausgingen, dass sich in Syrien und im Irak noch immer mehrere Tausend IS-Kämpfer aufhielten, „untergetaucht und als solche kaum zu erkennen“. Diese könnten jederzeit zuschlagen. Nicht vergessen dürfe man auch die riesigen Finanzmittel des IS. Westlichen Sicherheitskreisen zufolge belaufen sie sich auf mehrere Hundert Millionen US-Dollar.

Möglich, dass der IS sich neu formiert

Daher erscheine es durchaus möglich, „dass der IS sich neu formiert und in absehbarer Zeit wieder Gebiete erobern und unter seine Kontrolle bringen könnte“, so Pelster. Mit all den bekannten Folgen für religiöse Minderheiten, die von solchen Eroberungen betroffen wären: Unterdrückung, Zwangsislamisierung, Vertreibung, Flucht und Gewalt.

DT/mlu

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Christen Donald Trump Islamfeindlichkeit Islamischer Staat Kirche in Not Muslime Päpste Saddam Hussein Tod und Trauer

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