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Marsch fürs Leben: Kompromisslos beide lieben

Schrille Farben statt schriller Töne: Wiens "Marsch fürs Leben" war jugendlich und lebensfroh.
Marsch fürs Leben in Wien
Foto: Florian Feuchtner | "Kinder schützen, Frauen unterstützen, Abtreibungen hinfällig machen" so das Motto der österreichischen Lebensschützer.

Abtreibung ist ein großes Tabu in Österreich. Wer ein Tabu verletzt – das wissen Lebensschützer in der Stadt Sigmund Freuds – muss mit aggressiven Reaktionen rechnen. Sogar mit vorauseilender Aggression: Drei Tage vor dem Wiener „Marsch fürs Leben“ polemisierte der ORF in einer Reportage gegen die Lebensschutzbewegung in Kroatien. Am Tag vor dem Marsch widmete die linksliberale Zeitung „Der Standard“ den Lebensschützern eine ganze, kritische Seite. „Auch beim Marsch fürs Leben in Wien werden radikale Töne angeschlagen“, wusste „Der Standard“ bereits im Voraus.

Wiens Weihbischof Turnovsky zelebrierte die Messe

Der „Verhütungsexperte“ Christian Fiala, Österreichs bekanntester Abtreibungsarzt, wetterte am Freitag, die Bischofskonferenz rufe „verdeckt politische Initiativen ins Leben, um die antiquierte katholische Sexualmoral erneut zu etablieren und die Fristenlösung aufzuweichen“. So „verdeckt“ war die Unterstützung der Kirche am Samstagmittag dann gar nicht: Wiens Weihbischof Stephan Turnovszky zelebrierte die Messe für die Lebensschützer im Stephansdom, um „ein großes Ja zum Leben zu sagen, das ein Geschenk Gottes ist“.

In seiner Predigt erinnerte er daran, dass alle Menschen sich vor Gott verantworten müssten, dass jeder Rechenschaft geben müsse für „das Geschenk und die Zumutung des Lebens“. Turnovszky kritisierte die „Geringachtung der Schwächsten in unserer Zeit: der Behinderten, der Ungeborenen“ und eine Gesellschaft, die Frauen in einer schwierigen Situation alleine lasse statt Frauen und Kinder zu unterstützen. „Es sollte in unserem Wohlstands-Österreich möglich sein, Frauen eine andere Lösung zu bieten“, sagte der Bischof in Anspielung auf die sogenannte Fristenlösung.

"Die Ökologie des Menschen umfasst
die Sorge um Mensch und Umwelt“
Wiens Weihbischof Stephan Turnovsky

Er unterstütze aus ganzem Herzen den „Marsch fürs Leben“ wie auch die Initiativen „Fairändern“ und „Fakten helfen“, stellte Turnovszky klar. Zusammen seien Umweltschutz und Lebensschutz erst Schöpfungsverantwortung. „Die Ökologie des Menschen umfasst die Sorge um Mensch und Umwelt!“, so Österreichs Jugendbischof unter Berufung auf die drei letzten Päpste. Es gehe darum, kompromisslos beide zu lieben – Mutter und Kind. „Wir bejahen Geborene und Ungeborene, Gesunde und Kranke. Lassen wir uns nicht für ein billiges Entweder-Oder vereinnahmen!“

Schon im Dom waren auffallend viele Jugendliche. Einige Mädchen hatten sich Herzen und kurze Pro-Life-Sprüche aufs Gesicht gemalt. Eine hielt ein Schild, worauf – natürlich auf Englisch – zu lesen stand, wahrer Feminismus töte keine ungeborenen Frauen. Noch deutlicher das Bild draußen auf dem Platz, nachdem die letzten Töne von „O du mein Heiland hoch und hehr, dem sich der Himmel beuget“ verklungen waren: Natürlich waren da auch die seit Jahrzehnten nimmermüden Veteranen der österreichischen Lebensschutz-Szene, vor allem aber viel Jugend mit fröhlichen Gesichtern und in bunten Farben.

4.000 Teilnehmer beim Marsch durch Österreichs Hauptstadt

3.000 Teilnehmer schätzte die Polizei zunächst, korrigierte dann nochmals nach oben. 4.000 werden es wohl gewesen sein, die an diesem sonnigen Herbsttag in Österreichs Hauptstadt für das Leben auf die Straße gingen. „Kinder schützen, Frauen unterstützen, Abtreibungen hinfällig machen“, stand auf dem größten Transparent.

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Den Stephansdom im Rücken schmetterte der Chor der syrisch-orthodoxen Gemeinde Lieder auf Aramäisch, in der Sprache Jesu. Viel lauter und jünger als die von der Polizei auf Distanz gehaltenen Gegendemonstranten der Sozialistischen Jugend, des Verbands Sozialistischer Studentinnen, des Frauenvolksbegehrens und anderer linker Kleingruppen, die sich die Stimmen für Abtreibungen heiser schrien.

Viel Hass und Vorurteile

Der syrisch-orthodoxe Chorepiskopus Emanuel Aydin dankte allen, die für das Leben der Ungeborenen auf die Straße gehen. Das sei heute „nicht leicht und nicht in Mode“, es gebe viel Hass und Vorurteile. „Wie konnte ein christliches Land mit großer Geschichte so weit kommen?“, fragte der Bischofsvikar unter dem Applaus der Teilnehmer. Er habe das christliche Erbe Österreichs stets bewundert, doch „die Politik kümmert sich nicht mehr um die Gebote Gottes“. Die „Hysterie um den angeblich menschengemachten Klimawandel“ sei verrückt, denn „die ganze Natur ist auf den Menschen hingeordnet und ruft uns zu: tötet kein Menschenleben!“, so Aydin. „Abtreibung ist Mord!“ Es gebe gar keine Rechtfertigung dafür, ein Kind zu töten. „Das ist ein Rückfall in die Barbarei!“ Wenn die Bürger die Liebe zum Leben verinnerlichten, werde Abtreibung undenkbar.

Er könne sich nicht damit abfinden, dass ein Viertel aller gezeugten Kinder abgetrieben würden, sagte der Gründer der „Plattform Christdemokratie“, Jan Ledóchowski. Echte Lösungen müssten die Not beseitigen, nicht aber die Menschen. „Welche Antworten geben wir als Gesellschaft?“, fragte der Jungpolitiker, der als eine Zukunftshoffnung der Wiener ÖVP gilt.

Österreich zurück zur Kultur des Lebens führen

Severin Vetter, einer der Organisatoren des Marschs, sagte, es gelte „Österreich zurück zu führen zu einer Kultur des Lebens, in der jedes Kind bedingungslos willkommen ist“. Angesichts der im Hintergrund zu hörenden Gegendemonstration meinte er: „Die Wahrheit ist auf unserer Seite, die Moral ist auf unserer Seite, und die Wissenschaft ist auch auf unserer Seite!“

„Gott ist ein Freund des Lebens“, sagte der Hochschulseelsorger und Kirchenhistoriker Martin Mayerhofer in seiner Ansprache. Weil jeder Mensch Gott ähnlich sei, akzeptiere der christliche Glaube keine Diskriminierung. „Jeder Mensch ist ein Meisterwerk Gottes!“ Der Priester erinnerte aber zugleich daran, dass es keine Sünde gebe, die Gott nicht vergeben will.

Der aus Kanada angereiste Lebensschützer Jonathon van Maren meinte, Abtreibung verletze den mütterlichen Instinkt der Frau ebenso wie den Schutzinstinkt des Vaters. „Die Kinder haben ein Recht darauf, dass wir sie verteidigen.“ Die Gegendemonstranten würden gar keine Debatte wollen, „weil sie sie verlieren würden“.

Die Polizei schirmte den Demonstrationszug ab

Aus Kroatien nahm die Journalistin, Übersetzerin und Lebensschutz-Aktivistin Željka Markic am „Marsch fürs Leben“ teil. Sie wusste zu berichten, dass rund 75 Prozent aller Frauen nach einer Abtreibung bestätigt hätten, aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund des Drucks ihrer unmittelbaren Umgebung abgetrieben zu haben.

Beim langen Marsch vom Stephansplatz über Wollzeile und Ring, quer über den Heldenplatz, zwischen Bundeskanzleramt und Hofburg (dem Sitz des Bundespräsidenten) hindurch bis zum Josefsplatz schirmte die Polizei den Demonstrationszug ab. Hie und da lief jemand von der Seite heran, rief „Pro choice!“ oder „Abtreibung ist ein Frauenrecht!“ Doch die etwa 4 000 Lebensrechts-Bewegten dominierten die Innenstadt mit jugendlicher Fröhlichkeit, mit Transparenten und Luftballons in der Farbe Pink.

Intakte Familien, die Kindern Schutz geben

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Auf dem Josefsplatz, wo nicht nur die Österreichische Nationalbibliothek untergebracht ist, sondern – für die Jahre des Umbaus des Parlaments – provisorisch auch der Nationalrat tagt, sammelten sich die Teilnehmer zu einer Abschlusskundgebung. Weil wahrer Lebensschutz so weit reiche wie das Leben selbst, brauche es intakte Familien, die Kindern Schutz geben, sagte Alexander Tschugguel, der Organisator des Marsches. Es drohe zugleich auch die Gefahr der Euthanasie. Im Norden Deutschlands gebe es bereits Altersheime für Menschen, die vor der dortigen Euthanasie-Gesetzgebung aus Belgien und den Niederlanden fliehen. Schon wieder werde, wie im 20. Jahrhundert, menschliches Leben in „wert“ und „unwert“ eingeteilt, doch „es gibt kein unwertes Leben“. Tschugguel rief die dazu auf, alle internen Zwistigkeiten fallen zulassen: „Hören wir auf, uns zu distanzieren von Leuten, die sich für den Lebensschutz einsetzen.“ Jeder, der für das Leben kämpfe, sei „ein wahrer Held“. Im kommenden Jahr wird es nicht nur (am 17. Oktober) eine Neuauflage des „Marsches“ geben, sondern – in guter Wiener Tradition – am 10. Juni auch einen „Ball fürs Leben“. Eine wohl nicht ganz zufällige Anspielung auf den „Life Ball“ des Wiener Homosexuellen-Aktivisten Gery Keszler für HIV-infizierte Menschen.

Die Mehrzahl der österreichischen Medien reagierte auf den Tabubruch mit Schweigen. Dass die Lebensschutz-Bewegung sich überwiegend jugendlich, fröhlich und sogar mit der Signalfarbe Pink präsentiert, passt wohl allzu schwer ins Klischee. Ob zumindest einige der Anliegen der Demonstranten politisches Gehör finden, hängt von den Koalitionsverhandlungen ab, die in diesen Tagen an Fahrt aufnehmen. SPÖ und Grüne haben sich jedenfalls in der Frage der Abtreibung stets „dogmatisch“ präsentiert: An der Fristenregelung lassen sie nicht einmal symbolisch rütteln.

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