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Marsch für das Leben 2019: Saturday for life

Der "Marsch für das Leben" erzielt mit mehr als 8 000 Teilnehmern einen Rekord. Darunter sind auch fünf Bischöfe.
Marsch für das Leben 2019
Foto: Gordon Welters | Es ist das Treffen der Lebensrechtsbewegung: der Marsch für das Leben. Wie in jedem Jahr gab es eine Gegendemonstration. Aber wie ebenfalls in jedem Jahr ließen sich die Teilnehmer von deren Provokationen nicht stören.

Berlin, Samstag, 21. September, 12 Uhr 30: „Das gibt es nicht“, „krass“, „ist ja irre.“ So mancher, der sich dem „Platz der Republik“ von der „Paul-Löbe-Allee“ aus nähert, traut seinen Augen nicht, als er den gewaltigen Wald aus grünen Schildern erblickt. Bei strahlendem Sonnenschein erhebt er sich aus einem hin und her wogenden Meer aus Menschen jeden Alters. Dabei hat die Kundgebung, die der Bundesverband Lebensrecht“ (BVL) dem „Marsch für das Leben“ traditionell voranstellt, noch nicht einmal begonnen. Eine gute halbe Stunde vor Beginn ist der Platz vor dem Berliner Reichstagsgebäude bereits bis hinunter zur Scheidemannstraße bevölkert. Und immer noch strömen Menschen an beiden Enden auf den Platz.

Vier Dutzend Gegendemonstranten beobachten das Geschehen aus der Ferne

Mehr als 8 000, mehr als jemals zuvor, hätten an dem Marsch teilgenommen, wird der BVL später verkünden. Während die Stiftung „Ja zum Leben“, eine der insgesamt 13 Lebensrechtsorganisationen, die sich unter dem Dach des Verbandes versammelt haben, Aufkleber mit Slogans wie „Wir helfen Schwangeren Frauen!“, „Frieden beginnt im Mutterleib!“ oder „Rettet die Menschenbabys!“ verteilt, treibt die Berliner Band „Gnadensohn“ das Stimmungsbarometer der überwiegend gut gelaunten Teilnehmer weiter nach oben, Richtung Euphorie.

Auf der Wiese vor dem Platz der Republik beobachten rund vier Dutzend Gegendemonstranten aus der Ferne das Geschehen. Absperrungsgitter und ein üppig ausgefallener Streifen „Niemandsland“, in dem Polizisten in schwerer Schutzausrüstung patrouillieren, trennen Lebensrechtler und Gegendemonstranten.

Motto der Gegner: „Antifeminismus sabotieren – Abtreibung legalisieren“

Deren Hauptmacht hat sich diesmal auf dem „Washington Platz“ vor dem Hauptbahnhof versammelt. Unter dem Motto „Leben und Lieben ohne Bevormundung“ hat dort das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ zur Gegenkundgebung aufgerufen. Unterstützt werden sie von Aktivisten des Bündnisses „What the fuck“, die sich bereits um 10 Uhr am „Rosenthaler Platz“ eingefunden hatten, um von dort unter dem Motto „Antifeminismus sabotieren – Abtreibung legalisieren“ durch Berlin-Mitte zu ziehen.

In einer Pressemitteilung sprechen die sich sexuell selbstbestimmt Wähnenden später von 1 500 Teilnehmern, zu denen sich 2 000 Aktivisten des Bündnisses „What the fuck“ gesellt hätten. Insgesamt hätten sich am Samstag „um die 5 000 Menschen für sexuelle Selbstbestimmung, geschlechtliche Vielfalt und ein offenes Berlin“ eingesetzt. Und weiter: Dem „diskriminierenden Schweigemarsch“ habe man ein „kinderfreundliches und buntes Programm“ mit „Kinderblock mit Clown und Seifenblasen“ entgegensetzt, der bei „Teilnehmenden mit Kind“ sehr gut angekommen sei. Offensichtlich machen sich die Organisatoren der Gegendemos, die den Marschteilnehmern in Wahrheit zahlenmäßig heillos unterlegen sind, „im offenen Berlin“ Sorgen um ihr Image.

Beatrix von Storch hält sich eine Stunde in der ersten Reihe auf

Zu Recht. Denn obwohl die Gegendemonstranten in Berlin-Mitte Handzettel verteilt und an Geländern und Laternen zurückgelassen hatten, mit denen die Anwohner aufgefordert wurden, rosafarbene Gegenstände als „Zeichen der Solidarität“ in und aus ihren Fenstern zu hängen, bekamen die Teilnehmer des „Marsches für das Leben“ solche auf ihrer Route nirgendwo zu Gesicht. Offensichtlich zeigt das „offene Berlin“ Abtreibungsbefürwortern, die vorgeburtliche Kindstötungen zu einem Menschenrecht erklären, die kalte Schulter.

12 Uhr 44: Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch trifft ein. Eskortiert von drei Personenschützern hält sie sich zunächst abseits des Geschehens, am Rand des Platzes auf. Nach Beginn der Kundgebung drängt sie in die erste Reihe, direkt vor die Bühne. Eine Handvoll Pressefotografen, darunter auch solche, die Internetseiten bedienen, die von den Organisatoren der Gegendemonstrationen unterhalten werden, schießen Dutzende Bilder. Um 13 Uhr 43 verlässt von Storch den Platz. Was einige Medien nicht daran hindert, den Marsch erneut als „von Rechtspopulisten unterwandert“ zu bezeichnen.

Passaus Bischof Oster kommt auf einem E-Roller

Passaus Bischof Stefan Oster, dessen Zug Verspätung hat, erreicht den Platz auf einem E-Roller. Begleitet wird er von Mitgliedern der „Jugend für das Leben“. Die hatten den Bischof am Bahnhof erwartet und schlugen ihm die Nutzung des in Berlin weit verbreiteten Verkehrsmittels vor, um die Umwege, die die Taxen aufgrund der Absperrungen nehmen müssen, zu vermeiden. Einen Fototermin für den „grünen Bischof“, der tags zuvor an der „Fridays for Future“-Demonstration in Passau teilgenommen hatte, gibt es nicht.

Neben Oster, der zum ersten Mal den Marsch besucht, sind auch die Diözesanbischöfe Rudolf Voderholzer (Regensburg), der jedes Jahr an dem Marsch teilnimmt, und Wolfgang Ipolt (Görlitz) nach Berlin gekommen. Mit von der Partie sind auch die Weihbischöfe Matthias Heinrich (Berlin) und Florian Wörner (Augsburg), der zusammen mit Bischof Hans-Jörg Voigt von der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) den ökumenischen Abschlussgottesdienst leitet. Ebenfalls vor Ort: der Vorsitzende der „Deutschen Evangelischen Allianz“, Pastor Ekkehart Vetter.

Gegen 13 Uhr 10 eröffnet die BVL-Vorsitzende Alexandra Linder die Kundgebung und begrüßt die Teilnehmer des Marsches zum „Saturday for life“. Ohne die Weitergabe des Lebens könne es keine Zukunft geben, begründet Linder die Anspielung auf die tags zuvor stattgefundenen Klimaschutz-Demonstrationen.

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Verbindung von Lebens- und Klimaschutz

Auch andere suchen Lebens- und Klimaschutz zu verbinden. „Wir hören, lesen und sehen im Fernsehen viel über den Klimaschutz. Und es ist ein wichtiges Thema. Wir wollen das nicht bagatellisieren“, erklärt der ehemalige Rechtspolitische Sprecher der CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Geis. Der Mitinitiator eines Gesetzentwurfs, der 1995 bei der Verabschiedung der Reform des § 218 StGB zum Bedauern vieler Lebensrechtler keine Mehrheit im Parlament fand, erinnert an die „große Rede“ Papst Benedikts XVI. vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011, in welcher dieser den Abgeordneten „die Sorge um die Schöpfung besonders ans Herz gelegt“ habe. Der Kampf um den Schutz der dem Menschen anvertrauten Schöpfung sei ein „großes Anliegen. Eines, bei dem „wir uns von niemandem übertreffen lassen wollen. Aber sind wir eigentlich glaubwürdig, wenn wir die Schöpfung schützen, aber nicht zugleich auch dem Menschen am Anfang seiner Existenz Schutz gewähren?“, fragt Geis.

Während Geis die Marschteilnehmer bittet, für die von Papst Johannes Paul II. geforderte „Zivilisation der Liebe“ einzutreten, die alle Menschen achte, einschließlich derer, die „am Anfang“ und „am Ende des Lebens“ nicht für sich selbst eintreten könnten, skandieren die mit Trillerpfeifen ausgerüsteten Gegendemonstranten auf der Wiese: „Halt die Fresse! Halt die Fresse!“

Die häufigste gewaltsame Todesursache

Um 13 Uhr 36 ist die Polizei dann erstmals gefordert. Als Hartmut Steeb von der Evangelischen Allianz die Marschteilnehmer zu einer Schweigeminute für die durch Abtreibung ums Leben gekommenen Kinder aufruft, stürmen vier Gegendemonstranten die Bühne. Beherzt stellen sich Linder und die Bundesvorsitzende der „Aktion Lebensrecht für Alle“, Cornelia Kaminski, ihnen in den Weg und hindern sie daran, ein Transparent zu entfalten. Polizisten in Zivil, die sich unter die Marschteilnehmer gemischt hatten, erklimmen die Bühne, ergreifen die Störer und führen sie ab.

Auch Stefan Oster erinnert an die Opfer vorgeburtlicher Kindstötungen. Dass „in einem der reichsten Länder der Welt pro Jahr mehr als 100 000 Abtreibungen durchgeführt werden“, nennt Passaus Bischof einen „ungeheuerlichen Skandal“. Pro Tag würden durchschnittlich „knapp 300 ungeborene Kinder getötet“. Das seien „zehn zukünftige Schulklassen“. Auch weltweit sei Abtreibung „die häufigste gewaltsame Todesursache“. Nach Angaben der Vereinten Nationen würden weltweit jedes Jahr mehr als 50 Millionen Kinder abgetrieben. Dabei stürben „mehr Menschen als in Kriegen, durch Seuchen oder Naturkatastrophen“, so Oster.

Oster wendet sich gegen Versuche der politischen Instrumentalisierung

Ausdrücklich wendet sich Oster gegen Versuche, den Marsch „von links und rechts“ politisch zu instrumentalisieren. „Von linker Seite“ werde gerne betont, dass es keine „sogenannte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ geben dürfe. „Also Vorbehalte gegen Menschen“, nur, weil diese „Ausländer“, „Flüchtlinge“, „Behinderte“ oder „Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung“ seien. Das sei, so Oster, „richtig“. Alle seien Menschen und besäßen „die gleiche unveräußerliche Würde“.

„Und daher möchte ich eher in Richtung der politischen Linken sagen: Die am tödlichsten bedrohte Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft ist heute das ungeborene Kind mit Behinderung.“ Rund 90 Prozent der ungeborenen Kinder, bei denen das Down-Syndrom diagnostiziert werde, würden abgetrieben. „Man kann es drehen und wenden wie man will, ein Pränataltest auf Trisomie 21 als Kassenleistung wird diese Quote noch einmal erhöhen.“

"Wo bleibt der Protest gegen diese furchtbare
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?"
Passaus Bischof Stefan Oster

„Wo“, fragt Oster, „bleibt der Protest gegen diese furchtbare gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?“

Umgekehrt wünsche er sich, „dass dieser Marsch auch nicht von der politischen Rechten instrumentalisiert“ werde. „Wer für den Schutz des Lebens von Anfang bis zum Ende ist“, müsse auch für den Schutz anderer Marginalisierter sein: „Der Armen, der Menschen auf der Flucht, der Menschen, die im Mittelmehr zu ertrinken drohen.“ Denn, so Oster: „Es gibt keine konsequente Einstellung zur Menschenwürde, die den einen Schwachen schützen und die den anderen Schwachen weghaben will.“

Gegen 14 Uhr setzt sich der Marsch, angeführt von Linder, Kaminski, Steeb, dem Vorsitzenden der „Ärzte für das Leben“, Professor Paul Cullen, sowie dem Erlanger Kinderarzt und Genforscher, Professor Holm Schneider, und dem Bonner Publizisten Martin Lohmann, in Bewegung. Über die Dorotheenstraße, vorbei am Jakob-Kaiser-Haus, ziehen die Lebensrechtler in die Wilhelmstraße, Richtung Spree. Am Reichstagsufer gelingt es rund 100 Gegendemonstranten, den Marsch mit einer Sitzblockade zu stoppen. Die überwiegend aus Jugendlichen bestehende Gruppe hatte sich erfolgreich mit Schildern des BVL und Aufklebern seiner Mitgliedsorganisationen getarnt und schon während der Kundgebung unter die Teilnehmer gemischt. Auf Kommando strömen sie plötzlich zusammen, setzen sich auf den Boden und blockieren die Straße.

Rund 140 Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen

Nach mehrfacher Aufforderung, den Weg freizumachen, räumt die Polizei die Straße. Jeweils zwei Beamte tragen die jugendlichen Gegendemonstranten von der Straße und nehmen ihre Personalien auf.

Die Polizei spricht später von „rund 140 Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen“. Die Marschteilnehmer nehmen die rund einstündige Unterbrechung überwiegend gelassen und vertreiben sich die Zeit mit Gesprächen, Gebeten und Gesängen. Einige sind ungehalten, ob der Geduld, die die Polizei walten lässt. Andere loben den „menschenwürdigen Umgang“ der Beamten mit dem Gegendemonstranten.

Nach dem Gottesdienst verabschiedet Linder die Teilnehmer. Wenn jeder im nächsten Jahr noch einen weiteren mitbringe, werde auch die 10 000er-Marke geknackt, stellt sie zuversichtlich mit Blick auf 2020 fest. Ausdrücklich dankt die BVL-Vorsitzende schließlich auch der Polizei für ihre Arbeit während der Veranstaltung.

Und auch die Marschteilnehmer selbst bekunden ihren Dank gegenüber den Ordnungshütern - und sind dabei kreativ: „Eins, zwei, drei – danke, Polizei“ erschallt es gleichzeitig aus tausenden Kehlen.

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