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Lobbyarbeit für Selbstmord

Der Sterbehilfe-Verein Dignitas will in Österreich durch Urteile die Rechtslage ändern. Von Susanne Kummer
Ludwig Minelli
Foto: dpa

Der Schweizer Sterbehilfe-Verein Dignitas ist derzeit missionarisch unterwegs. Sein erklärtes Ziel: die Freigabe des assistierten Suizids durch Musterprozesse und Lobbyarbeit international durchzusetzen. Gegenüber Medien verbucht Dignitas-Gründer Ludwig Minelli (85) mehrere „Pro-Sterbehilfe-Urteile“ – etwa in Deutschland, Kanada und einigen australischen Bundesstaaten –, als eigenen Erfolg. Nun ist offenbar Österreich an der Reihe. „Wir sind bereit, derartige Verfahren zu finanzieren, denn es ist unsere Aufgabe und unser Auftrag, auch in Österreich das Licht der Freiheit anzuzünden. Das wird wohl in den nächsten zwei bis drei Jahren vonstatten gehen“, so Minelli kürzlich gegenüber der österreichischen journalistischen Recherche-Plattform Addendum.

In Österreich sind sowohl die Tötung auf Verlangen als auch die Beihilfe zum Selbstmord strafrechtlich verboten. „Nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen zu sterben“, lautet der breite politische Konsens, wonach es keinen ärztlichen Auftrag zur Beihilfe zum Suizid oder der Tötung auf Verlangen gibt. Stattdessen sollen Palliative Care und Hospizangebote ausgebaut werden, so das Ergebnis der 2015 abgeschlossenen parlamentarischen Enquete zur Würde am Ende des Lebens.

Mitwirkung am Selbstmord ist bisher strafbar

Dass in der benachbarten Alpenrepublik ein klares politisches Bekenntnis zu Palliativmedizin und Hospizangebote anstelle von Suizidbeihilfe oder Tötung auf Verlangen herrscht, ist Dignitas schon seit längerem ein Dorn im Auge: Der Sterbehilfe-Verein will deshalb die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 78 StGB (Mitwirkung am Selbstmord) prüfen lassen. Der Wiener Anwalt Wolfram Proksch will dazu noch vor Jahresende mehrere Klagen beim Verfassungsgerichtshof einbringen. Vor zwei Jahren war Dignitas an Proksch herangetreten.

Der Anwalt war 2016 Kandidat der NEOS-Partei für das Amt des Rechnungshofpräsidenten. Diese Oppositionspartei bekennt sich klar zu einer Freigabe des assistierten Suizids. Medienberichten zufolge ist einer von Prokschs Mandanten ein an Multipler Sklerose erkrankter 54-jähriger Burgenländer, der das Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung einfordert. Der Anwalt schließt nach eigenen Angaben bei negativem Ergebnis den Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht aus.

Dabei ist Dignitas selbst ins Visier der Justiz geraten: Seinem Gründer Minelli wird vorgeworfen, sich persönlich mit Erbschaften seiner „Kunden“ bereichert zu haben, zudem ermittelt im Moment die Schweizerische Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Vorwurfs von Wucher. In der Schweiz ist Beihilfe zum Suizid erlaubt, sofern die „Sterbehelfer“ nicht aus selbstsüchtigen Motiven handeln – sprich: das Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen, um persönliche Bereicherungen auszuschließen.

Im Gegensatz zu anderen Schweizer Vereinen wie Exit oder Eternal Spirit legt Minelli seine Finanzen jedoch nicht offen. Neu aufgerollt wird von der Schweizerischen Staatsanwaltschaft zudem der Fall eines 34-jährigen, schwer depressiven Österreichers aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie, der per Testament einem Minelli nahestehenden Verein einen Teil seines Erbes in Millionenhöhe vermachte. Auf Intervention der Mutter widerrief das Opfer sein Testament im März 2013 wenige Minuten vor seinem mithilfe von Dignitas durchgeführten Suizid. Minelli klagte daraufhin, der Rechtsstreit endete schließlich in einem Vergleich.

Strafanzeige gegen Jens Spahn

Dass Dignitas als Lobby-Organisation vor keinem Mittel zurückschreckt, zeigt die kürzlich erstattete Strafanzeige gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Dignitas wirft dem Gesundheitsminister Meineid und Rechtsbeugung vor. Der CDU-Minister hatte im März 2018 dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bis auf weiteres untersagt, Genehmigungen zur Abgabe tödlicher Arzneimittel zu erteilen. Den Fall dahinter – eine Deutsche, die in ihrem Land keine Medikamente zur Selbsttötung erhielt – hatte ebenfalls Dignitas als Musterprozess ins Rollen gebracht. Einem bisherigen Rechtsgutachten des früheren deutschen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio zufolge hat der Staat jedoch keine Pflicht, seine Bürger beim Suizid zu unterstützen. Jens Spahn will dem abschließenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht vorgreifen.

Die Sterbehilfe-Organisation Dignitas mit Sitz im Kanton Zürich finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Erbschaften. Der Verein zählte 2017 rund 8 500 Mitglieder aus mehr als 80 Ländern. 688 davon haben ihren Wohnsitz in der Schweiz, 3 351 in Deutschland, 1 315 in Großbritannien, 542 in den USA und 168 in Österreich. In den vergangenen 20 Jahren haben 55 Österreicher Suizid in der Schweiz begangen, rund drei pro Jahr. Der Anteil der Deutschen mit 1 150 Suiziden und 45 Prozent der Klientel von Dignitas liegt weit höher.

Die Tendenz, Suizidwillige und vulnerable Personengruppen wie Ältere, Einsame oder Kranke für eine Debatte rund um ein würdiges Sterben zu instrumentalisieren, ist Methode und zugleich gefährlich. Das Recht auf die begleitete Selbsttötung mutiert in Kürze zu einer Pflicht zum sozialverträglichen Frühableben. Und eine Legalisierung der medizinisch assistierten Selbsttötung untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten. Das zeigt der Blick in andere Länder, etwa die Entwicklungen im US-Bundesstaat Oregon: Von zwei Krebspatienten, die in Oregon nur über die staatliche Armen-Krankenversicherung Medicaid verfügen, wird berichtet, dass ihnen per amtlichem Schreiben die zu teure Chemotherapie verweigert, gleichzeitig aber angeboten wurde, einen assistierten Suizid als Alternative zu bezahlen. Beide wollten jedoch leben und behandelt werden. Erst als der Fall von Randy Stroup 2009 an die Öffentlichkeit kam, wurde ihm eine Chemotherapie zugestanden.

In rund 17 Prozent der Fälle stellten die Ärzte entgegen den gesetzlichen Kriterien auch bei chronischen Erkrankungen ohne infauste Prognose Bewilligungen für eine Beihilfe zur Selbsttötung aus. In den Niederlanden wird bereits die „Letzte-Wille-Pille“ diskutiert für Senioren, die noch rüstig, aber dennoch lebensmüde sind. Sie sollen sich den tödlichen Medikamentencocktail in der Apotheke selbst abholen dürfen. In Kanada rechnen Ökonomen in Studien bereits vor, wieviel Geld sich das Gesundheitssystem durch Euthanasie am Lebensende einsparen kann.

Suizid als Geschäftsmodell

Es ist tragisch genug, wenn Menschen mit Suizidgedanken keine Hilfe zum Leben finden. Geradezu zynisch ist es, wenn andere bei Suiziden Geld verdienen und dann ihr Geschäftsmodell auch noch exportieren wollen. Unsere Kultur lebt davon, dass wir auch an den Grenzen des Lebens zueinander stehen.

Die Autorin ist Geschäftsführerin des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien.

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