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Leitartikel: Kein Maßstab für Münster

Von Regina Einig

Der Evangelische Kirchentag kann den Organisatoren des Katholikentags in Münster 2018 als Lehrbeispiel dienen, wie sich Christen auf keinen Fall in der Gesellschaft präsentieren sollten, wenn sie noch einen Rest von Glaubwürdigkeit in den eigenen Reihen und darüber hinaus behalten wollen. Nicht einmal im Superwahljahr 2017 lockte der traditionelle Aufmarsch der Politprominenz, der auf Evangelischen Kirchentagen in der Regel vollständiger vertreten ist als auf Katholikentagen, die erwartete Zahl von zweihunderttausend Besuchern an. Das Publikum ahnte wohl, dass die Podien keine nennenswerte inhaltliche Überraschung bieten würden. Staatsnähe wird auf Kirchentagen mit einer Inbrunst zelebriert, die den Gedanken an das Salz der Erde, das Christen doch sein sollen, unweigerlich ad absurdum führt. Paradoxerweise erregte die Luther-Botschafterin Margot Käßmann nicht mit dem ihr für dieses Jahr aufgetragenen Thema Reformationsgedenken Aufsehen, sondern mit ihrer abenteuerlichen Einschätzung deutscher Familienverhältnisse (Seite 8). Zumindest die in den sozialen Netzwerken als „Vollstuss“ (Henryk Broder) kommentierte Wortmeldung Käßmanns legt nahe, dass der Kirchentag einer ernsthaften Beschäftigung mit dem Reformationsgedenken nicht nur auswich, sondern es auch infolge personeller Fehlbesetzungen nicht wirklich anpacken konnte.

Die Schwierigkeit, kompetente Christen zu finden, die sich zu Fragen des religiösen Lebens und der Gesellschaftspolitik angemessen äußern können, ist natürlich kein genuin protestantisches. Auch beim Katholikentag 2018 werden Lücken klaffen. Über der Veranstaltung schwebt schon jetzt die Frage, wie man das Fehlen intellektuell profilierter Christen in Wissenschaft und Politik bei einem weitgehend auf das Engagement von Laien zugeschnittenen Format ausgleichen kann. Dieser dramatische Substanzmangel lässt sich allerdings nicht einfach durch Großevents wegfeiern oder kaschieren. Der unbeholfene Versuch des Kirchentags, sich den unbewältigten Fragen der Ökumene durch die Flucht ins Interreligiöse zu entziehen, ist in Ansätzen auch in katholischen Kreisen bereits zu beobachten. Für den Katholikentag wäre jedoch nichts gewonnen, wenn auf der Plattform interreligiöser Dialog eine Gesprächskompetenz signalisiert würde, die man nicht einmal auf dem ökumenischen Parkett einlösen kann.

Das auffällige Bemühen, just die profilierteste Ökumene der Gegenwart – die der Märtyrer – auszublenden, nahm in Berlin fast tragische Züge an. Spätestens, als am Freitag der Terroranschlag auf ein Bus mit koptischen Pilgern in Ägypten bekannt wurde, fiel auf, dass kein Vertreter der Kopten im Programm vorgesehen war, ein Chor ausgenommen. Nichts deutet derzeit darauf hin, dass sich die Lage der verfolgten Christen weltweit bis 2018 weniger bedrohlich präsentieren wird als heute. Die „Ökumene des Blutes“ wäre ein zeitgemäßer Scheinwerfer für den Katholikentag in Münster und zugleich ein Lackmustest für authentische christliche Solidarität. Dass Europa nach dem Empfinden der protestantischen Bundeskanzlerin in Zukunft verstärkt auf sich allein gestellt sein dürfte, braucht Katholiken nicht die Sicht auf das universale Wesen ihrer Kirche versperren.

Regina Einig, Autorin
Foto: DT | Regina Einig.
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