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Leitartikel: Das Ende des Westens?

Von Boris Reitschuster

Was für ein Kontrast: Den russischen Außenminister Sergej Lawrow empfing US-Präsident Donald Trump diese Woche im Weißen Haus strahlend, mit freundschaftlichem Handschlag. Genau den verweigerte er Angela Merkel im März vor Journalisten, die Stimmung zwischen beiden war kühl. Die Bilder von den Treffen sind ein Symbol: für einen kolossalen Wandel in der globalen Politik. Noch bis November 2016 waren die Fronten klar: Auf der einen Seite der Westen, die Länder der NATO und EU, mit ihrem Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten. Auf der anderen Seite Staaten wie Russland und China, in denen diese Werte nicht gelten.

Mit Trump regiert die USA ein Präsident, der nicht nur enge Verbindungen zur russischen Geschäftswelt und zum Kreml hat. Der Milliardär macht kaum einen Hehl aus seiner Verachtung für viele demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze: Er gratulierte dem türkischen Präsidenten Erdogan zum Sieg im Verfassungsreferendum, schimpfte wiederholt Richter und setzte den FBI-Direktor ab, der gegen ihn wegen seiner Russland-Verbindungen ermittelte.

Trump steht für eine Abkehr von den westlichen Werten. Deshalb ist ihm Putin in vielem näher als Demokraten wie Merkel oder Macron, für den sein Glückwunsch kalt ausfiel. Die US-Verfassung und die Gewaltenteilung setzen dem Staatschef zwar deutliche Grenzen; aber Trumps jüngste Schritte nähren den Verdacht, dass er diese überschreiten will. Diese Entwicklung stellt den Zusammenhalt des Westens in Gefahr. Statt einem Ost-West-Konflikt droht ein neuer Frontverlauf mit Achsenbildungen – etwa Washington-Istanbul-Moskau.

Der Gezeitenwechsel in den USA kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt: Russlands Regierungschef sprach schon von einem neuen Kalten Krieg, sein Generalstabschef Gerassimow predigt die hybride Kriegsführung – mit Desinformation, Nutzung des Protestpotenzials der Bevölkerung und Angriffen auf Informationssysteme.

Putin will Revanche für die Niederlage im Kalten Krieg. Er hat dem Westen und seinen Werten den Kampf angesagt. Er hält Europa für dekadent; er predigt Autokratie, strebt eine Wende zurück in die Zeit vor der Aufklärung an. Das macht ihn populär auch bei manchen Konservativen im Westen. Er hat zwar kein attraktives Politik- oder Gesellschaftsmodel vorzuweisen. Aber er ist ein Großmeister des Etikettenschwindels: Etwa mit seiner angeblichen Religiosität – für deren Inszenierung er die seit Stalin vom Geheimdienst durchsetzte Amtskirche missbraucht. Viele durchschauen nicht, dass Putin für Willkür, Rechtlosigkeit und Moral-Nihilismus in KGB-Tradition steht.

Die Versuchung, Putin durch eine rosa Brille zu betrachten, hat ihre Wurzeln in der Enttäuschung darüber, dass wir uns von traditionellen und christlichen Werten abwenden; dass wir uns Richtung Spaßrepublik entwickelt und Bodenhaftung verloren haben. Statt nur auf den Autokraten Putin und auf Trump zu schimpfen, müssen wir Selbstkritik üben. Wir müssen uns auf unsere Werte besinnen. Wir müssen Demokratie, Frieden, Freiheit und Rechtsstaat wieder schätzen lernen und wieder für sie zu kämpfen. Sonst wird der „Westen“, der uns all das garantiert hat, bald Geschichte sein.

Foto: DT | Boris Reitschuster.
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