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Tödliche Diskriminierung

In Deutschland werden jedes Jahr 101.000 Menschen tödlich diskriminiert. In Großbritannien hat nun eine 24-jährige Frau die britische Regierung verklagt. Recht so!
Jedes Kind will leben
Foto: Paul Zinken (dpa) | Dass das Statistische Bundesamt in Wiesbaden diese Woche bekannt gab, dass ihm im vergangenen Jahr erneut 101.000 vorgeburtliche Kindstötungen gemeldet wurden, war vielerorts nicht einmal eine Meldung wert.

„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden.“ So steht es in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Und tatsächlich steht Antidiskriminierung hoch im Kurs, wie etwa Debatten um die Ehe für alle, das Kopftuch-Verbot, die Rückführung von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer, den Anteil von Frauen in Vorstandsetagen, ihren Zugang zu kirchlichen Weiheämtern oder gar um Unisex-Toiletten zeigen. Ob dort auch schon immer der Kern des Problems getroffen wird, kann hier dahingestellt bleiben. Dass eine Gesellschaft leidenschaftlich darüber zu diskutieren vermag, ob ein christlicher Konditor Hochzeitstorten für homosexuelle Paare fertigen muss, spricht jedenfalls für eine hohe Sensibilität, auch wenn hier und da hysterische Züge attestieren werden müssen.

Versagen der Humanität

So gesehen wundert es jedoch gewaltig, dass sich bei der tödlichsten aller Diskriminierungen die Aufregung eher umgekehrt proportional ausnimmt. Dass das Statistische Bundesamt in Wiesbaden diese Woche bekannt gab, dass ihm im vergangenen Jahr erneut 101.000 vorgeburtliche Kindstötungen gemeldet wurden, war vielerorts nicht einmal eine Meldung wert. Dabei gibt es überhaupt kein diskriminierendes Urteil, als zu einem anderen Menschen zu sagen: „Du sollst nicht sein!“ Was schon im übertragenen Sinne ein Skandal wäre, ist im buchstäblichen Sinne eine wahre Katastrophe: Ein Versagen der Humanität, 101.000 Mal pro Jahr.

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In Großbritannien will sich eine 24-jährige Britin damit nicht abfinden. Dort gelten Abtreibungen bis zur 24. Woche als legal. Im Falle des Down-Syndroms (Trisomie 21) – ähnlich wie in Deutschland – sogar bis zur Geburt. Und weil sich Heidi Crowter, so der Name der jungen Frau, selbst Trägerin des Down-Syndroms, davon diskriminiert fühlt, hat sie jetzt kurzerhand die britische Regierung verklagt. Recht so! Endlich eine Klage, die man auch in Deutschland gerne sähe, einschließlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu.

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Stefan Rehder Bundesverfassungsgericht Kindstötung

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