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Kirche und AfD: Politisches und Religiöses trennen

Vor der Wahl in Thüringen: Mit besonderer Spannung wird das Ergebnis das AfD erwartet, vor der die Kirchen immer wieder warnten. Aufgegangen sei deren Strategie dabei nicht, meint Politik-Professor Werner J. Patzelt im Interview.
Werner Patzelt zum Verhältnis von AfD und Kirche
Foto: Oliver Dietze (dpa) | Wenn man Spielräume nicht selbst besetzt, fallen sie dem Gegner zu dessen Vorteil zu, meint der Politologe Werner Patzelt. Ob die AfD diese bei der Landtagswahl in Thüringen nutzen kann, wird sich am Sonntag zeigen.

Herr Professor Patzelt, wie beurteilen Sie die Strategie der katholischen Kirche in Deutschland und speziell in Mitteldeutschland im Umgang mit der AfD?

Auch die katholische Kirche hat sich, wie die evangelischen Kirchen, auf die Position eingelassen, die AfD wäre im Grunde nichts als eine rassistische Vereinigung und das Sprachrohr von Rechtsradikalen. Also reicht es - so eine verbreitete Einschätzung  – aus, diesen Tatbestand in möglichst klaren Worten der Bevölkerung vor Augen zu führen und vor der AfD zu warnen. Fern lag hingegen eine Analyse dahingehend, ob die AfD nicht eine Reaktion auf Politik- und Repräsentationsprobleme in Deutschland wäre. Also wurde auch nicht nach einer politischen Auseinandersetzung mit der AfD gesucht, die bei jenen Politik – und Repräsentationsproblemen angesetzt hätte, deren Folge das Aufkommen der AfD ist.

"Die gesamtgesellschaftliche Polarisierung
zwischen konservativen Positionen und links-grünen
Positionen ist inzwischen auch in den
Kirchen sehr schmerzlich spürbar geworden"

Ist die Strategie gescheitert, gerade gegenüber dezidiert theologisch konservativen katholischen und evangelischen Kreisen?

Ganz offenkundig ist die bisherige kirchliche Strategie im Umgang mit der AfD gescheitert, denn andernfalls hätte – gerade bei der so großen Übereinstimmung kirchlicher, medialer und gesellschaftlicher Reaktionen auf die AfD – der Stimmenanteil der AfD beim letzten Wahlen zurückgehen müssen und nicht steigen dürfen. Und weil nun insbesondere Konservative in Deutschland jene Probleme auf dem Schirm haben (Migration, Integration, Euro-Politik, Russlandpolitik ...), welche sehr lautstark von der AfD thematisiert werden, ist die gesamtgesellschaftliche Polarisierung zwischen konservativen Positionen und links-grünen Positionen inzwischen auch in den Kirchen sehr schmerzlich spürbar geworden. Weil obendrein sich gerade Konservative bislang in den Kirchen besonders gut aufgehoben gefühlt haben, droht den Kirchen  als Organisationen angesichts dieser Polarisierung eine Art „innere Kündigung“ zumal derer, die den Kirchen bislang besonders eng verbunden waren.

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Welchen Umgang mit der AfD würden Sie sich kirchlicherseits und seitens der CDU beziehungsweise der WerteUnion wünschen?

Seitens der Kirchen sind die Positionen des Christentums zu vertreten, es ist aber dem Gewissen des Einzelnen zu überlassen, in welche politischen Maßnahmen christliche Anliegen umzusetzen wären. Das gilt umso mehr, als über konkrete politische Entscheidungsfragen kirchliche Lehrmeinungen weitgehend gar nicht bestehen beziehungsweise zu solchen Fragen auch innerkirchlich unterschiedliche Antworten gegeben werden. Im übrigen täten die Kirchen gerade angesichts unserer gesellschaftlichen Polarisierung gut daran, „Gott zu geben, was Gottes ist – dem Kaiser aber, was des Kaisers ist“, also sich nicht mit religiösen Argumenten samt sachlichem Überlegenheitsanspruch in den Zuständigkeitsbereich pragmatisch-weltlicher Entscheidungsfindung hinein zu drängen. Im übrigen gilt auch für politisch Verrannte, dass die Kirche gerade den verlorenen Schafen nachzugehen bzw. sich gleichsam um „die Sünder“ zu kümmern hat, diese aber nicht auszugrenzen oder gar aufzugeben verpflichtet ist.

"Die CDU müsste neben ihrem liberalen
und ihrem sozialen Flügel auch ihren
konservativen Flügel wieder stärken"

Der CDU ist die Einsicht anzuraten, dass viele AfD–Mitglieder und AfD-Wähler ehemalige Anhänger der CDU sind, denen und deren Anliegen die CDU-Führung sich aber nicht mehr so recht annehmen wollte. Deswegen sind sie einer rechts von der CDU neu entstandenen Partei zugelaufen. Wie im Fußball gilt aber auch für die Politik: Wenn man Spielräume nicht selbst besetzt, fallen sie dem Gegner zu dessen Vorteil zu. Also meine ich, dass die CDU neben ihrem liberalen und ihrem sozialen Flügel auch ihren konservativen Flügel wieder stärken müsste. Eben das ist das Ziel der WerteUnion. CDU und WerteUnion leisteten unter diesen Umständen das für unser Land Beste genau dann, wenn sie dafür sorgen wollten, dass auch Konservative  ihre politischen Hoffnungen wieder in die CDU setzen könnten und nicht länger an die AfD verschwenden müssten.

"Die AfD hat sich seit
ihrer Gründung radikalisiert"

Wie beurteilen Sie das Phänomen des "Flügels" und den Vorwurf der „Verrohung des Diskurses“ und der angeblichen Folgen?

Die AfD hat sich seit ihrer Gründung – aus verschiedenen Gründen – radikalisiert. Ein großer Teil des AfD-Erfolges geht dabei genau darauf zurück, dass sie nun auch radikalen Wutbürgern eine politische Stimme gibt. Das aber tut besonders öffentlichkeitsträchtig der „Flügel“. Dort wird besonders grob und roh argumentiert, was sich auch dadurch weiter steigert, dass ein Großteil der AfD – Kommunikation in sozialen Medien stattfindet und dort sowohl Ausdruck als auch Echo findet. Die  AfD-Gegner schlagen sehr häufig aber einen ähnlichen Tonfall an, weswegen sich eine beklagenswerte Polarisierung hier immer weiter verschärft.

Der Politologe Werner Patzelt
Foto: Hendrik Schmidt (ZB) | Werner J. Patzelt lehrte bis zu seinem Ruhestand im Sommer dieses Jahres an der Technischen Universität Dresden Politikwissenschaft.

Welche Schlüsse wären aus Ihrer Sicht aus dieser Situation für die Positionierung der katholischen Kirche zu ziehen?

Das habe ich oben schon umrissen: Religiöses und Politisches so weit wie möglich trennen – und  ansonsten, wie einst Jesus, eher den Sündern nachgehen als die Pharisäer zu loben. Das schiene mir gerade auch in den Kirchengemeinden das vorrangige Anliegen der Pfarrer sein zu müssen, weil in einer freien Gesellschaft politische Meinungsverschiedenheiten auch grundlegende Art ganz und gar legitim sind.

"Die Kirchen scheinen glücklich darüber
zu sein, sich endlich mit einer großen
Zeitströmung [...] solidarisieren zu können"

Ist das „Flügel“-Phänomen auch weltanschaulich oder religiöser („völkisch“ im klassischen Sinne) konnotiert?

Mir scheint das nicht der Fall zu sein; ich habe diesbezüglich aber auch keiner näheren Untersuchungen angestellt. Also kann ich mich täuschen.

Deckt der AfD-Erfolg und der Umgang mit ihm nicht ein pastorales Defizit der beiden großen Kirchen auf? Schelten die Kirchen um ihrer zivilgesellschaftlichen "Relevanz" willen bis zu 25 Prozent der Bevölkerung?

Genau das scheint mir der Fall zu sein. Die Kirchen scheinen glücklich darüber zu sein, sich endlich mit einer großen Zeitströmung – dem „Kampf gegen Rechts“ – solidarisieren zu können, also endlich einmal nicht „bergauf kämpfen“ zu müssen. Doch wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, kann ziemlich schnell zum Witwer werden ...

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