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Gefährliche Rivalität

Naher Osten: Nach dem Rückzug des IS droht eine neue Eskalation des Konflikts zwischen Israel und dem Iran. Von Behrouz Khosrozadeh
Manöver der israelischen Armee
Foto: dpa | Ein Manöver für den Kampf gegen die Hisbollah: Israel fürchtet nach wie vor den Iran und seine Verbündeten.

Henry Kissinger hat Anfang August, auf dem Höhepunkt des Siegeszuges über den IS, Fachwelt und Politiker vor einem radikalen „Imperium Iran“ gewarnt. Der ehemalige US-Außenminister machte den Westen darauf aufmerksam, dass die Mullahs einen territorialen Gürtel von Teheran bis nach Beirut errichten könnten, wenn die Stellungen des geschlagenen IS durch Sepah al-Qods beziehungsweise die al-Qods-Brigade (Auslandsarm der iranischen Revolutionswächter) oder den vom Iran unterstützten schiitischen Milizen besetzt würden. Das würde bedeuten, dass Agenten und Revolutionswächter und Soldaten des Iran dicht an Israels Grenzen präsent sein würden, ein „no go“ für Jerusalem. Eine derartige regionale Expansion des Gottesstaates würde ein radikal-schiitisch iranisches Imperium zur Folge haben, so der 94-jährige ehemalige Top-Diplomat. Donald Trump dürfe eine solche Entwicklung nicht zulassen, so die Kernbotschaft Kissingers. In der Tat sprechen einige Indizien für die Befürchtung des Ex-Außenministers der USA.

Ranghohe US-Militärs machen seit Jahren die Islamische Republik Iran mit ihren oktopus-artigen Einmischungen quer über die Region des Nahen Ostens – verbunden mit dem Hass auf Amerika und Israel – als strategische Gefahr und Feind Nummer Eins aus. 2015 hat David Petraeus, Ex-Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan, mit Nachdruck konstatiert, der IS sei nicht das größte Problem, sondern der Iran. Der an der Princeton University in Internationalen Beziehungen promovierte General sah bereits damals voraus: „Wenn Daesh (IS) aus dem Irak vertrieben wird und die Folge sein wird, dass die vom Iran unterstützte schiitische Milizen zur mächtigsten Kraft im Land mutieren und die irakischen Sicherheitskräfte in den Schatten stellen, wie es die Hisbollah im Libanon tut – wäre das ein desaströses Ergebnis für die Stabilität und Souveränität des Irak, ganz zu schweigen von unseren eigenen nationalen Interessen in der Region.“

Teheran ist im Libanon und in Syrien mit der schiitisch-libanesischen Miliz Hisbollah omnipräsent. Als „Handlanger“ des Iran verfügt die Hisbollah über rund 50 000 Kämpfer, von denen etwa 10 000 in Syrien an der Seite von Bashar al-Assad mit Rückendeckung der iranischen al-Qods-Brigade und Russland kämpfen und maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Assad nicht gestürzt wurde. Im Irak verfügt die schiitische Miliz Hashd al-Shaabi – 2014 gegründet – über mindestens 100 000 Angehörige, deren Finanzierung, Waffen, Ausbildung und Logistik der Iran ebenfalls übernommen hat. In Jemen riss der wiederum vom Iran unterstützte schiitische Zweig der Huthi-Miliz die Macht an sich. Der Iran unterstützt auch radikale Sunniten. Teheran ist laut Aussage des Hamas-Chefs im Gazastreifen Yahya Sinwar der größte Finanzier und Waffenlieferant an die Al-Qassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas. Teherans Zusammenarbeit mit den Taliban in Afghanistan ist bereits bewiesen.

Der jordanische König Abdullah II. prägte nach dem Irakkrieg (2003) den Begriff des „schiitischen Halbmonds“. Der König meinte, der Sturz des Sunniten Saddam Hussein im Irak führe zur Machtübernahme von dem Iran freundlich gesinnten schiitischen Irakern. Der Machtzuwachs der Ayatollahs in Teheran würde sich auch auf den Libanon, Syrien und Jemen (und Bahrain) erstrecken, wodurch die Region geographisch durch einen schiitischen Halbmond geprägt würde. Für sunnitisch-konservative Monarchien am Persischen Golf – inklusive Saudi-Arabien, das die eigene schiitische Bevölkerung unterdrückt und aus Furcht vor einer iranischen Übernahme Bahrains und des Jemens in diese beiden Staaten militärisch intervenierte – eine Schreckensversion. Auch Saudi-Arabien ist in den regionalen Stellvertreterkrieg mit dem Iran involviert. Doch eine derart massive direkte Bewaffnung von Milizen und eine direkte Involvierung mit Truppen und Kriegsgerät im Syrien-Krieg oder anderswo als bei den offiziell deklarierten Eingriffen in Bahrain und Jemen ist von den Saudis nicht bekannt.

Besonders das Südsyrienabkommen beziehungsweise der Waffenstillstand in Syrien, welchen US-Präsident Donald Trump und sein russischer Counterpart Wladimir Putin beim G20-Gipfel in Hamburg ausgehandelt haben, bereitet Israel Kopfschmerzen. Laut dem Abkommen gibt es hauptsächlich drei Deeskalationszonen, die größere im Westen Syriens unter russischer Kontrolle, eine weitere im Südwesten unter US-Kontrolle sowie eine dritte, die von der Türkei gesicherte Nordwestzone. Die russische Kontrollzone grenzt an das Mittelmeer und verläuft genau auf der vom Iran angestrebten Mittelmeerroute durch den Irak und Syrien. Obschon zwischen den Iranern und der israelischen Grenze durch diese Zonen ein Korridor von etwa 20 Kilometern besteht, traut Jerusalem Moskau nicht über den Weg und befürchtet, dass Moskaus gute Beziehungen zu Teheran dazu führen, dass iranische Revolutionswächter und die Hisbollah sich entlang der jordanischen Grenze breitmachen und sich den israelischen Grenzen nähern. Assads Armee kontrolliert seit kurzem Tanf, das Grenzgebiet zum Irak. Auf irakischem Gebiet hat die schiitische Hashad Hashd Al-Shaabi die Fläche erobert. So kommt der Iran seinem Traum – der Errichtung eines Landkorridors bis zum Mittelmeer – ein Stück näher. Die Islamische Republik würde dann zum ersten Mal in ihrer Geschichte über eine direkte Landverbindung zu ihren Verbündeten in Syrien und im Libanon verfügen, die sich über den Irak und bis an die Küste des Mittelmeeres, wo die syrische Hafenstadt Latakia liegt, erstreckte. Mit der Folge, dass sich Irans Revolutionswächter und Streitkräfte sowie die schiitischen Milizen zum Transport von Waffen und zu logistischen Zwecken frei zwischen dem Iran, Irak, Syrien und dem Libanon bewegen könnten; ein Albtraum für die Sicherheitsinteressen Israels. Israels nördliche Grenzen, besonders die Golanhöhen, wären in Gefahr.

Die Sorge über Irans Schielen auf Israel ist nicht unbegründet. Im Januar 2015 griff die israelische Luftwaffe einen Hisbollah-Fahrzeugkonvoi an der libanesisch-israelischen Grenze nahe der Golanhöhen an und tötete sechs Hisbollah-Kämpfer und sechs iranische Militärs. Unter ihnen befand sich mit Brigadegeneral Mohammad Ali Allahdadi auch ein Angehöriger der iranischen Elitetruppe. Was Top-Militärs des Iran tausende Kilometer entfernt von den eigenen Grenzen und dicht an Israel wollen, lässt die These, der Iran „arbeite an der Vernichtung Israels“ als plausibel und nicht als Agitation seitens Israels erscheinen. Israels Premierminister Netanjahu ist besonders besorgt darüber, dass sich im Südsyrienabkommen kein Wort zu iranischen Truppen und der Hisbollah findet und dass überhaupt nicht sicher ist, ob diese auch aus den Deeskalationsgebieten abzögen. Netanjahu fängt daher auch an, Trumps anfangs lautstark verkündete Entschlossenheit gegenüber dem Iran in Zweifel zu ziehen. Der „Iran muss Syrien verlassen oder Israel wird handeln“, ließ Netanjahu wissen. Doch der Iran denkt nicht daran, sich aus Syrien zurückzuziehen. Israels Premier hat sogar mit der Bombardierung von Assads Amtssitz gedroht. Doch Putin, unter dessen Obhut weite Teile der Deeskalationszonen stehen, wünschte bloß: „Viel Glück!“ Das muss erschrecken. Wenn sich die Vernunft nicht durchsetzt, wird der Nahe Osten derart in Mitleidenschaft gezogen werden, dass IS dagegen als kleinkariert erscheint.

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