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Gastkommentar: Nicht Zensoren der Geschichte

Von Professor Richard Schröder

Es ist ein Streit darüber entbrannt, ob auf der Kuppel des Berliner Schlosses das Kreuz wiedererrichtet werden soll. Ein Humboldt-Forum als Schau der Weltkulturen mit Kreuz auf der Kuppel? Friedrich Wilhelm IV. hat seinerzeit die Kuppel mit Kapelle und Kreuz errichten lassen, weil die bisherige Schlosskapelle durch Umbauten weggefallen war. Er hat damit sicher auch sein Gottesgnadentum gemeint. Das war gegen die Volkssouveränität gerichtet und damit gegen die Demokratie. Daran können wir auch durch Bilderstürmerei nichts ändern. Wenn wir erst einmal anfangen, das Bildprogramm nach heutzutage politisch korrekten Kriterien zu beurteilen, bleibt nicht viel übrig. Wir sollten zu unserer Überlieferung immer ein unterscheidendes Verhältnis pflegen: Widerspruch hier, Respekt und Anerkennung da. Wir dürfen uns nicht als Zensoren der Geschichte aufführen. Es ist in Ordnung, dass wir Symbole korrekt verbotener Organisationen im öffentlichen Raum nicht dulden. Es ist nicht in Ordnung, wenn das Kreuz so ähnlich behandelt wird. Es ist kein vergiftetes Symbol, auch wenn es oft – wie alles in der Welt – missbraucht worden ist.

Selbst das viel geschmähte Gottesgnadentum hatte eine respektable Seite, die Friedrich Wilhelm IV. ernst genommen hat: Die Souveränität des Fürsten hat ihre Grenze in der Verantwortung vor Gott, sie ist nicht Freibrief zur Willkür. Die Präambel des Grundgesetzes hat dieses Element in die Volkssouveränität integriert: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“. Eine Weltschau der Kulturen und auf der Kuppel ein Kreuz – wie kann das zusammenpassen? Ganz einfach: Wenn der Reichtum der Menschheit die Gesamtheit ihrer Kulturen ist, dann ist unser europäischer Beitrag dazu zweifellos christlich geprägt. Wir leben in einer postchristlichen Gesellschaft, wie Feiertage, Vornamen und unsere kulturellen Überlieferungen in Wort und Bild belegen, dazu das Rote Kreuz, der Samariterbund und vieles mehr. Das verpflichtet ja niemanden zum Christsein, aber doch mindestens die Denkmalspfleger und die Kulturfreunde zur Kenntnis dieser Traditionen.

Jerusalem, Athen und Rom sind die Wurzeln der europäischen Kultur. Dazu kommt die Aufklärung. Aber nur wo es zuvor eine Scholastik gegeben hat, hat es danach eine Aufklärung gegeben. Es gibt die Beiträge Europas zur Menschheitskultur, die mit christlichen Wurzeln zu tun haben. Auch dafür darf das Kreuz über dem Humboldt-Forum stehen bleiben.

Der Autor ist Philosoph, Theologe und Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss.

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