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Christian Jacob: Konkurrenz für Macron?

In Frankreich gärt es. Doch zur Regierung Macron gab es bisher keine wirkliche Alternative. Die Konservativen wagen nun eine Erneuerung unter ihrem neuen Vorsitzenden Christian Jacob.
Christian Jacob, neuer Vorsitzender der französischen Konservativen
Foto: dpa | Wird er für Marcron ein ernst zu nehmender Herausforderer? Christian Jacob (Mitte), der neue Chef der Konservativen, ist schon lange im politischen Geschäft.

Frankreich poltert in den Herbst. Das ist zwar jedes Jahr so, man denke an die Gelbwesten, die ihre Samstag-Demos Mitte November begannen, aber diesmal könnten die Töne des Missmuts gleichzeitig aus mehreren sozialen Schichten von der Straße in die feinen Regierungspaläste hallen. Seit Wochen lamentieren und protestieren Krankenschwestern, Ärzte und vor allem das Notaufnahmepersonal in den Krankenhäusern. Unter den Rentenbeziehern rumort es, seit die Regierung an Reformen bastelt. Die Feuerwehrleute demonstrieren und verlangen mehr Lohn und Mittel, die Eisenbahner streikten und das gerade zu Beginn der zweiwöchigen Herbstferien, das Chaos an den Bahnhöfen rief den Premier auf den Plan, der mit seinem Wort von „wilden Streiks“ noch mehr Öl ins Feuer der Gewerkschaften goss. Am 5. Dezember haben mehrere Gewerkschaften zu Generalstreiks aufgerufen, was die Gelbwesten vor einem Jahr nicht erreicht hatten. Die soziale Lunte brennt mal wieder in der Grande Nation.

Auch in den Schulen hat man die diversen Reformpläne noch nicht verdaut und zurzeit ist statt lernen sowieso wieder diskutieren angesagt, seit Bildungsminister Jean Michel Blanquer, bislang eine sichere Säule der „Macronie“, die alte Kopftuch-Debatte wieder heftig in Wallung gebracht hat. Es war nur eine kleine Bemerkung Blanquers auf die Klage einer Muslimin, die mit ihrem Schleier den Ausflug der Klasse ihres Kindes begleitete und dabei auf Widerspruch stieß. Sie weigerte sich, den Schleier abzunehmen, obwohl ein Gesetz im Namen der Laizität verlangt, dass in öffentlichen Räumen keine Zeichen der Religiosität dauerhaft getragen werden dürfen.

"Der Schleier ist nicht erwünscht in unserer
Gesellschaft, denn was er über die
Lebensbedingungen der Frauen
aussagt, passt nicht zu unseren Werten"
Bildungsminister Jean Michel Blanquer

Die Diskussion geriet in die Medien und Blanquer meinte: „Der Schleier ist nicht erwünscht in unserer Gesellschaft, denn was er über die Lebensbedingungen der Frauen aussagt, passt nicht zu unseren Werten“. Seither sind die Feuilletons voll von der neuerlichen Schleierdebatte. Gilt das Gesetz nur für Schulräume oder auch außerhalb? Ist der Schleier eine Provokation oder eine Gewohnheit? Selbst in der Regierung ist man geteilter Meinung. Präsident Emmanuel Macron hat vor diesem Hintergrund, aber mit Anlass der Morde im Polizeipräsidium sein altes Mantra wiederholt, „keine Vermengung“ des Islam mit Islamismus.

Aber seine Glaubwürdigkeit hat es nicht erhöht, im Gegenteil. Fast alle Attentate gehen auf das Konto radikaler Muslime. Viele Franzosen fragen sich: Hat der Islam wirklich nichts mit diesen Attentätern zu tun? Der Figaro, die auflagenstärkste nationale Tageszeitung, sieht in der „kollektiven Hysterie“ eine Debatte, bei der die islamischen Agitatoren erneut testen wollen, wie es um die Widerstandskraft der Gesellschaft steht. Ein ähnlich kleinkarierter Anlass führte zum Eisenbahnerstreik am Wochenende. Ein Regionalzug hatte einen kleinen Unfall, elf Personen wurden bei dem Bremsmanöver verletzt, unter ihnen auch der Lokführer. Da es kein Begleitpersonal im Zug gab, sorgte der Lokführer trotz seiner Verletzung für die Fahrgäste. Die Eisenbahnergewerkschaft griff den Vorfall auf und organisierte einen Spontanstreik mit der Begründung, das Recht auf mindestens eine Begleitperson müsse wegen der Sicherheit der Fahrgäste endlich umgesetzt werden. Premierminister Edouard Phillippe verurteilte die Streiks als „illegal“. Die wilden Streiks nähmen die Bevölkerung als Geisel, man werde sämtliche rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um die Streikenden zur Verantwortung zu ziehen für das Chaos an den Bahnhöfen.

Auch die Rentenreformpläne stehen in der Kritik

Auch die Rentenreformpläne stehen in der Kritik. Die Angst geht um in der Regierung vor einer Reformblockade, gerade bei der symbolisch aufgeladenen Rentenproblematik. Ein Scheitern der Rentenreform würde den Elan der Regierung vollends ins Leere laufen lassen. Deshalb wolle und müsse man an der Reform festhalten und die Franzosen von ihrer Notwendigkeit überzeugen, wenn möglich vor dem 5. Dezember, bevor der Generalstreik das Land völlig lahmlegt. Die Regierung zeigt sich kämpferisch und entschlossen. Schon hat sie das Gesetz zur Leihmutterschaft gegen das Votum der Ärzte und trotz einer Massendemonstration von einer halben Million Menschen im Parlament durchgepeitscht. Aber anders als bei ethischen Themen, die die Identität der (künftigen) Franzosen und die Menschlichkeit der Gesellschaft betreffen, geht es bei Rente, Bahn und Krankenhaus um konkrete Fragen, die alle Franzosen angehen und schon heute in ihren Alltag eingreifen. Es wird schwierig, vielleicht unmöglich sein, Unruhen zu vermeiden. Erst recht, wenn die Regierung auf ihrer repressiven Linie beharrt und Streiks juristisch angreift oder Demonstrationen niederknüppeln lässt.

Es gärt im Volk. Kleine Anlässe genügen und schon entflammt die „Phosphor-Mentalität der Franzosen“, wie Stefan Zweig die immerwährende Gemütsverfassung der Gallier nannte. Hinzu kommt, dass die Regierung derzeit ohne Alternative ist, was die Wut in der Zivilgesellschaft nur steigert. Sie verfügt über eine satte absolute Mehrheit im Parlament und auch in der Parteienlandschaft steht ihr außer den Rechtspopulisten der Nationalen Versammlung (RN) keine starke Kraft gegenüber. Das soll sich ändern. Die Konservativen, die sich in der Partei Die Republikaner (LR) sammeln und bei den Europawahlen mit nur 8,8 Prozent eine empfindliche Niederlage erlitten hatten, worauf ihr Vorsitzender, Laurent Wauquiez zurückgetreten war, haben nun in einer Urwahl einen neuen Vorsitzenden gewählt.

63 Prozent der Stimmen schon im ersten Wahlgang

Christian Jacob, der auch Chef der LR-Fraktion in der Nationalversammlung ist, gewann mit 63 Prozent der Stimmen (fast die Hälfte aller Mitglieder hatte sich an der Wahl beteiligt) schon im ersten Wahlgang vor seinen beiden Mitkonkurrenten. Jacob steht für die alte gaullistische Linie der Partei, ähnlich wie sie der jüngst verstorbene ehemalige Staatspräsident Chirac verkörperte. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, seine Eltern waren Landwirte, er selbst auch. Als solcher kämpft er mit der Bauerngewerkschaft um bessere Verhältnisse für die Landwirte, Chirac wird, noch als Bürgermeister von Paris Ende der achtziger Jahre, auf ihn aufmerksam, als er die Minister der damaligen Regierung Mitterrand öffentlichkeitswirksam in die Enge treibt. Man trifft sich diskret und bleibt verbunden.

Jacob wird Abgeordneter, Bürgermeister, Familienminister. Er lehnt die Homo-„Ehe“ ebenso ab wie die Leihmutterschaft und macht daraus auch keinen Hehl. Diese Projekte werden erst unter den linken und gesellschaftspolitisch den gleichgeschlechtlichen Minderheiten zugeneigten Regierungschefs Hollande und Macron umgesetzt werden. Jacobs Verhandlungsgeschick und kämpferischer Einsatz für seine Ideen sprechen sich herum. Auch Sarkozy will als Präsident den jungen Politiker, der bei aller Gegensätzlichkeit stets um einen Konsens bemüht ist, für sich gewinnen. Jacob lehnt den Ministerposten ab und wird Fraktionschef der damaligen Mehrheitspartei UMP. Seine Zusammenarbeit mit dem Elysee funktioniert reibungslos. Er bleibt Fraktionschef auch nach der Wahl von Macron – und wird jetzt zum großen Gegenspieler des Präsidenten werden. Das umso mehr, als er schon vor der Wahl zum Parteivorsitzenden mehrfach und offen erklärt hat, dass er nicht das Amt des Staatspräsidenten anstrebt.

Bescheidenheit, gepaart mit Kampfeswillen

Diese Bescheidenheit, gepaart mit dem Kampfeswillen, die Konservativen wieder zur führenden Alternative gegenüber dem Macronismus zu formen, machen Jacobs hohe Glaubwürdigkeit aus. Ihm ist zuzutrauen, dass er die Konservativen eint und vor allem das Land befriedet. Denn dafür braucht es mehr als Ideen und Palaver. Dafür braucht es vor allem Bodenständigkeit und Ausdauer. Der erste Test kommt im März mit den Kommunalwahlen. In ihnen zeigt sich die Verwurzelung der Parteien im Volk mehr als bei den Europawahlen. Sie könnten zur Wiederauferstehung der Konservativen im Kleid der Republikaner führen.

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