In Istanbul wurde vor wenigen Tagen Kirchengeschichte geschrieben: Als Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie verlieh der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, der „Orthodoxen Kirche in der Ukraine“ die volle kirchenrechtliche Unabhängigkeit. Bartholomaios beansprucht „das Recht und das Privileg“, die Autokephalie zu verleihen – der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill bestreitet dies. Die nicht nur praktische, sondern theologische Frage nach dem Amt der Einheit trennt nicht nur die katholische von der orthodoxen Welt, sie spaltet die Orthodoxie selbst.
Moskauer Patriarchat beansprucht Ukraine als Teil ihre "kanonischen Territoriums"
Das Narrativ, das die russisch-orthodoxe Kirche jetzt international verbreitet, spielt den politischen Interessen des russischen Präsidenten in die Hände. Das Moskauer Patriarchat beansprucht die Ukraine als Teil ihres „kanonischen Territoriums“. Dem entspricht Putins Ideologie der „russischen Welt“, aufgrund derer er ein Mitspracherecht in den Staaten jenseits der Grenzen Russlands beansprucht. Das Moskauer Patriarchat, das sich in Russland in der Rolle der Staatskirche gefällt, wirft Bartholomaios vor, er habe sich vom ukrainischen Präsidenten und von des USA zur ukrainischen Autokephalie überreden, ja bestechen lassen. Das korrespondiert mit der Propaganda Putins, die nicht nur der eigenen Bevölkerung einreden will, der Westen verfolge eine anti-russische Strategie, gegen die man sich zur Wehr setzen müsse.
Russische Propaganda zieht Rechtsstaatlichkeit der Ukraine in Zweifel
Dazu kommt, dass das Moskauer Patriarchat vor einer drohenden Verfolgung der „legitimen Kirche“ in der Ukraine (gemeint ist die Orthodoxie des Moskauer Patriarchats) warnt, ja die Religionsfreiheit im Nachbarland in Gefahr wähnt. Das ist Wasser auf die Mühlen der russischen Propaganda, die die Rechtsstaatlichkeit des ukrainischen Staates und die Legitimität seiner Regierung in Zweifel zieht. Für Putin und Lawrow, die behaupten, es sei ihre Aufgabe, die Rechte aller Russischsprachigen zu verteidigen, ist eine befürchtete Verfolgung russisch-orthodoxer Kleriker in der Ukraine ein Anlass zur Intervention, jedenfalls zur Fortsetzung der seit 2014 betriebenen Destabilisierung des ukrainischen Staates.
DT/sb
Warum die Ukraine die Autokephalie als Krönung ihrer staatlichen Souveränität sieht, erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 10. Januar 2019.