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Von der Bedeutung des Böckenförde-Diktums

Seit gut fünf Jahrzehnten gibt es keine Rede, keine Vorlesung, keine Debattenrunde zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat, ohne dass der berühmte Satz des Staatrechtlers zitiert wird: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann.“
Ernst-Wolfgang  Böckenförde gestorben
Foto: Rolf Haid (dpa) | Seit gut fünf Jahrzehnten gibt es keine Rede, keine Vorlesung, keine Debattenrunde zu dem Thema, ohne dass nicht das „Böckenförde-Diktum“ erwähnt wird.

Wann immer in Deutschland über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat diskutiert wird, fällt sein Name. Ernst-Wolfgang Böckenförde, der am Sonntag im Alter von 88 Jahren gestorben ist, war nicht nur ein bedeutender Staatsrechtslehrer, der langjährige Bundesverfassungsrichter war auch der wahrscheinlich meistzitierte Wissenschaftler Deutschlands.

Baustein für Sonntagsreden von Politikern

Seit gut fünf Jahrzehnten gibt es keine Rede, keine Vorlesung, keine Debattenrunde zu dem Thema, ohne dass nicht das „Böckenförde-Diktum“ erwähnt wird. Es lautet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann.“

Freilich der Erfolg hat auch seine Schattenseite: Der Satz ist immer mehr zum Baustein für Sonntagsreden von Politikern, zur Phrase geworden. Heute wird er gerne als Beleg angeführt, wenn der Status quo im Verhältnis zwischen Kirche und Staat verteidigt wird. Die ursprüngliche Stoßrichtung war aber gänzlich anders.

Der freiheitliche Staat, die Bundesrepublik, ist kein totalitärer Staat

Als Böckenförde 1967 diesen Satz in einem Aufsatz über die Verweltlichung des Staates und dessen Emanzipation von der Religion am Vorabend des Zweiten Vatikanums schreibt, geht es um Aufbruch. Der Satz hat nämlich zwei Ebenen: eine analytische, sie richtet sich an die ganze Öffentlichkeit, und eine appellative, der Adressat: die deutschen Katholiken.

Der analytische Ansatz: Der freiheitliche Staat, die Bundesrepublik, ist kein totalitärer Staat. Denn der hat einen weltanschaulichen Überbau und zwingt diesen allen seinen Bürgern als Leitideologie auf. Der freiheitliche Staat hingegen ist weltanschaulich neutral. Freilich ist auch er darauf angewiesen, dass seine Bürger sich für das Gemeinwohl einsetzen. Dieser Einsatz lässt sich aber nicht von oben befehlen, der Motor für so eine aktive Staatsbürgerschaft liegt vielmehr in den eigenen weltanschaulichen Überzeugungen der Menschen, seien sie nun religiöser oder anderer Art. Daher schafft der Staat einen Freiraum, in der die Bürger eben genau gemäß dieser unterschiedlichen Prägungen frei agieren können.

DT

Worin der Appell des Katholiken Böckenförde an seine Glaubensgeschwister besteht, erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 28. Februar 2019.

Themen & Autoren
Sebastian Sasse Geisteshaltungen und Weltanschauungen

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