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Streit über Holocaust sorgt für polnisch-israelische Krise

Es habe viele Polen gegeben, die mit den Nazis zusammengearbeitet hätten, meint der neue Interims-Außenminister Jisrael Katz. Der polnische Premierminister wirft ihm daraufhin Rassismsus vor. Von Till Magnus Steiner
Krise zwischen Polen und Israel
Foto: Pawel Supernak (PAP) | Als das Klima noch freundlicher war: Mateusz Morawiecki, Premierminister von Polen, begrüßte vergangene Woche Israels Premierminister Benjamin Netanjahu während einer von Polen und den USA organisierten ...

Zwischen Polen und Israel hat sich eine diplomatische Krise entwickelt. Der Grund sind zum einen  Äußerungen von Jisrael Katz, der vom israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu kürzlich zum Interims-Außenminister ernannt worden war: „Ich bin der Sohn von Überlebenden des Holocaust, wir werden nie vergeben und nie vergessen, und es gab viele Polen, die mit den Nazis zusammengearbeitet haben," erklärte Katz in einem Interview. Zudem zitierte er den ehemaligen israelischen Premier- und Außenminister Jitzchak Schamir: „Shamir sagte, dass jeder Pole den Antisemitismus mit der Milch seiner Mutter aufgenommen hat. Niemand wird uns sagen, wie wir unsere Haltung ausdrücken und die Toten ehren sollen."

Auch Israels Premier Netanjahu hatte Polen Kollaboration mit den Nazis unterstellt

Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki verurteilte diese Worte als „rassistisch und unakzeptabel“ und sagte darauffolgend die Teilnahme Polens an dem für Dienstag geplanten Treffen der Visegrád-Gruppe, einem aus Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn bestehende Binnenbündnis in der Europäischen Union, ab. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums teilte mit, dass es nun stattdessen zu bilateralen Gesprächen Benjamin Netanjahus mit den drei anderen Regierungschefs kommen werde.

Bereits vergangene Woche hatte ein Kommentar Benjamin Netanjahus den Konflikt zwischen Polen und Israel geschürt: Auf eine Frage zum sogenannten polnischen Holocaust-Gesetz antwortete Neanjahu gegenüber der israelischen Zeitung Haaretz: „Die Polen haben mit den Nazis zusammengearbeitet, und ich kenne niemanden, der jemals wegen einer solchen Aussage verklagt wurde.“ Nach vehementem Protest der polnischen Regierung veröffentlichte das Büro Benjamin Netanjahus eine englischsprachige Pressemitteilung, in der erklärt wurde, dass sich seine Aussage „auf einzelnen Polen bezog und nicht das polnische Volk oder das Land Polen“.

In Polen ist es eine Straftat, das Volk der Mittäterschaft an Nazi-Verbrechen zu bezichtigen

Gemäß dem in Polen geltenden Gesetz ist es eine Straftat, das polnische Volk oder den polnischen Staat der Mittäterschaft an den nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Juden zu beschuldigen. Noch im Juni hatten Benjamin Netanjahu und Mateusz Morawiecki eine gemeine Erklärung verlesen und darin erklärt: „Wir lehnen die Aktionen ab, die darauf abzielen, Polen oder die polnische Nation als Ganzes für die Gräueltaten der Nazis und ihrer Kollaborateure verschiedener Nationen verantwortlich zu machen.“
Die Haltung Benjamin Netanyahus gegenüber dem polnischen, sogenannten Holocaust-Gesetz wird in Israel von mehreren Seiten kritisiert. Nach der Pressemitteilung seines Büros attackierte ihn der Oppositionspolitiker Yair Lapid: „Anstatt dass sich die Polen bei uns für die Millionen entschuldigen, die während des Holocaust in Polen umgekommen sind, durch ihre Unterstützung der Nazis, entschuldigt sich Netanyahu zum zweiten Mal bei ihnen.“

Ehemalige Botschafterin wirft Netanjahu engstirnige Interessen vor

Bereits als das Treffen der Visegrád-Gruppe angekündigt wurde, gab es dagegen deutlichen Widerstand in der israelischen Gesellschaft. In einem Interview mit der Nachrichtenseite Al-Monitor warf zum Beispiel die ehemalige Botschafterin und Vorsitzende der israelischen Dachorganisation der Holocaust-Überlebendengruppen Colette Avital dem Premierminister Benjamin Netanjahu vor, ein „Gütesiegel für Führer und Regime mit neonazistischer Ausrichtung zu erteilen, das die Überlebenden des Holocaust und das Andenken an die Opfer schädigt". Und sie fügte hinzu: „Motiviert durch engstirnige Interessen hilft der Premierminister denen, die Geschichte neu schreiben - denen, die Israel lieben, aber die Juden hassen".

DT

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