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Ruandas Schatten: Was tun bei Völkermord?

Zuschauen oder Eingreifen? Das Thema Humanitäre Intervention muss aus christlicher Sicht kritisch betrachtet werden.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tagt im UN-Hauptquartier
Foto: Li Muzi (Xinhua) | Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: Schauplatz der Entscheidungen.

Das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert der V̦lkermorde. Der V̦lkermord an den Herero, der V̦lkermord an den Armeniern, die Schoah, die dem Verbrechen den Namen gab (Raphael Lemkin nannte den Holocaust 1944 "genocide"), der V̦lkermord an den Timoresen und dann Рvor genau 25 Jahren: der V̦lkermord an den Tutsi in Ruanda, begangen von der Hutu-Mehrheit im Land. Etwa 800 000 Menschen kamen binnen weniger Wochen ums Leben.

Was sagen die Vereinten Nationen?

Es gelang dem Sicherheitsrat der VN, in dem Deutschland seit 1. April den Vorsitz hat, damals nicht, sich zu einigen und den bislang nur im Zusammenhang mit der Schoah verwendeten Begriff "Genozid" unter den völkerrechtlichen Tatbestand der Aggression zu subsumieren, um damit ein Eingriffsrecht gemäß Charta zu begründen. So blieb das, was geschah, nicht-staatliche Gewalt in den Grenzen eines souveränen Staates. Da können sie nichts tun, die Vereinten Nationen. Ergo: Die Weltgemeinschaft sah tatenlos zu. Was ihr blieb, war der Aufbau eines Tribunals zur Klärung der Ereignisse und zur Bestrafung der Täter. Und: Der Wille, Maßnahmen zu ergreifen, die ein "zweites Ruanda" unmöglich machen.

Das Beispiel Ruanda zeigte zweierlei sehr deutlich: 1. Das Verständnis der "Aggression" als "Krieg zwischen souveränen Staaten" greift zu kurz, in Zeiten von nicht-staatlicher und innerstaatlicher Gewalt. Damit steht die staatliche Souveränität als Paradigma internationaler Beziehungen in Frage, soweit damit nicht die Verantwortung des Staates für den Schutz des Volkes gemeint ist, sondern ein Schutz vor Einmischung in Staaten, in denen das Volk leidet. 2. Wenn es aber Interventionen in eindeutigen Fällen von gerechtfertigtem Eingriff, also bei ethnischen Säuberungen und Völkermord, geben soll, so brauchen diese eine Rechtsgrundlage, wie sie damals auch von der Kirche gefordert wurde.

Was sagt die Kirche?

Krieg soll "nach Gottes Willen nicht sein" – so stellt es die erste Vollversammlung des ÖkumenischenRats der Kirchen im Jahr 1948 unmissverständlich fest. Das Christentum ist eine Religion des Friedens, "Christ" reimt sich auf "Pazifist". Doch ist es nicht gerade der radikale Pazifismus, der Gewalt ermöglicht, dadurch, dass er ihr nichts entgegensetzt? So argumentiert etwa Heiner Geißler, der meint, Pazifismus, genauer: die britische Appeasementpolitik, habe Auschwitz erst möglich gemacht. Man kann dem freilich entgegenhalten, dass es, wären alle Deutschen in den 1930er Jahren Pazifisten gewesen, gar nicht erst zum Krieg und infolgedessen auch nicht zur Schoah gekommen wäre.

Doch das Argument ist so einfach nicht von der Hand zu weisen, weil eben eine Welt voller Pazifisten reines Wunschdenken ist. So gibt es an diese Pazifismuskritik anschließend auch in der christlichen Tradition die Vorstellung, dass es Situationen gibt, in denen (militärische) Gewalt notwendig sein kann, weil nur sie die Not zu wenden im Stande ist. Diese Einsicht führte zur Denkfigur des Gerechten Kriegs als Notwehr (im Falle der Selbstverteidigung bei einem Angriff durch Dritte) oder als Nothilfe (im Falle einer Intervention zugunsten eines Angegriffenen).

DT (jobo)

Was Papst Johannes Paul II. zum Völkermord in Ruanda sagte und welche Position die katholischen Denker Robert Spaemann und Eberhard Schockenhoff einnehmen in der Frage, ob militärisches Eingreifen gerechtfertigt sein kann, erfahren Sie im "Thema der Woche" in der aktuellen Ausgabe der "Tagespost" vom 4. April 2019.

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Josef Bordat Heiner Geißler Johannes Paul Johannes Paul II. Paul II. Robert Spaemann UNO Völkermord an den Armeniern Völkermord in Ruanda Völkerrecht

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