Wissenschaftler und Experten warnen davor, Islamverbände und Moscheegemeinden allein für die Radikalisierung von Jugendlichen verantwortlich zu machen. Laut Hamdan Hussein sind etwa 40 Prozent der deutschen Muslime in etablierten Moscheeverbänden organisiert. Andere Schätzungen gehen von lediglich 20 Prozent aus. Hussein ist Leiter des Projekts "Muslime als Partner in Baden-Württemberg" an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er beklagt, dass sich viele Muslime durch die Anschläge der Terrormiliz des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) einem Pauschalverdacht ausgesetzt sähen. Die meisten Radikalen hätten zunächst keinerlei Bezug zu einer Moscheegemeinde, so Hamdan. Insbesondere seien es Konvertiten, die den salafistischen Islam angenommen hätten. Extremismus zu bekämpfen sieht er als zivilgesellschaftliche Aufgabe.
Was die öffentliche Wahrnehmung angeht offenbart sich für den Islamwissenschaftler Michael Kiefer schon beim Blick auf die Zahlen derjenigen, die in Moscheeverbänden organisiert sind, ein Teil des Problems. Der Islam kenne keine Struktur, die der kirchlichen entspricht, die Beziehung zwischen Gott und Mensch sei eine direkte. "Als frommer Muslim muss man nicht organisiert sein", erklärt Kiefer. An den Strukturen werde sich daher kaum etwas ändern. Verbände könnten ihre Mitglieder jedoch sensibilisieren und sich dafür einsetzen, dass Extremisten bei ihnen nicht auftreten dürfen. "In der religiösen Sozialisation kann man dafür sorgen, dass Kinder einen reflektierten Umfang mit dem Koran und den Geboten lernen", so Kiefer.
Dass sich sogar immer mehr Muslime von der Religion abwenden, beobachtet der Religionswissenschaftler Michael Blume. In anonymen Umfragen bezeichnete sich seinen Angaben zufolge eine wachsende Zahl von Deutschen türkischer oder iranischer Herkunft als konfessionslos. Als Hauptgrund für diese Entwicklung nennt Blume eine "Selbstzerfleischung" der islamischen Gesellschaft.
DT/KNA