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Missbrauch: Fakten und Fiktion

Im Zuge der Missbrauchskrise werden einige Annahmen und Behauptungen angeführt, die nicht immer ganz richtig, manchmal gänzlich falsch sind. Ein Faktencheck. Von Josef Bordat
Missbrauchskrise in der katholischen Kirche
Foto: Friso Gentsch (dpa) | Die häufigsten Tätergruppen sind beim sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt bekannte männliche Personen und männliche Familienangehörige.

Ist sexueller Missbrauch ausschließlich ein Thema der Kirche?

Nein. 3677 Fälle haben sich gemäß Medienberichten zur Studie der deutschen Bischöfe im Raum der Katholischen Kirche in Deutschland binnen 68 Jahren ereignet – 54 Fälle pro Jahr. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 10 000 Missbrauchsfälle pro Jahr. Es gibt in der Literatur die Angabe des Faktors 20 für die Dunkelziffer, das wären 200 000 Fälle pro Jahr. Insofern muss man hier die Dimensionen sehen, die das Missbrauchsproblem gesellschaftlich hat.

99,5 Prozent der Fälle finden nicht im Raum der Kirche statt

Selbst wenn die Dunkelziffer innerhalb der Kirche ebenfalls um den Faktor 20 höher läge, bliebe es bei einem Anteil von 0,5 Prozent. Das heißt: 99,5 Prozent der Fälle sexuellen Missbrauchs finden nicht im Raum der Kirche statt, sondern im engen sozialen Umfeld: „Die häufigsten Tätergruppen sind beim sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt bekannte männliche Personen und männliche Familienangehörige“, so hält es bereits der „Erste Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011“ fest.

Sind Priester und Ordensmänner öfter zu Tätern geworden als andere Männer?

Um dazu eine klare Aussage zu machen, ist die Datenlage zu uneindeutig. Der deutschen Studie zufolge hat es von 1670 Priestern, Diakonen und männlichen Ordensangehörigen in der Zeit von 1946 bis 2014 sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche gegeben. 1670 von 38 156 (Grundgesamtheit der untersuchten Personalakten) – das ist ein Täteranteil von 4,4 Prozent. Da in der Bevölkerung von etwa einem Prozent Männern mit pädophilen Neigungen auszugehen ist (nach einer Studie, die 1989 in Child Abuse & Neglect: The international Journal erschien), wäre der Täteranteil Überproportional.

Studien zeigen, dass zwischen der Neigung und der Missbrauchstat kaum ein Zusammenhang besteht

Da sich die Fälle in Deutschland aber auch auf Jugendliche als Opfer beziehen, wären die Täter nicht als pädophil zu bezeichnen, sondern als hebephil, also als Menschen mit einer sexuellen Präferenz für pubertierende Jugendliche. Andererseits wiederum zeigen Studien (so auch die deutsche Missbrauchsstudie in einem Zwischenbericht von Juni 2016), dass zwischen der Neigung und der Missbrauchstat kaum ein Zusammenhang besteht: Der sexuelle Missbrauch an Kindern und Jugendlichen wird in der Kirche nur teilweise durch Pädophile (17,7 Prozent) und Hebephile (1,2 Prozent) begangen.

DT

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