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Kommentar: Realität vs. Friedensplan

Kalkulierte Eskalation: Der Jerusalemer Tempelberg ist ein Pulverfass, dessen Lunte mal wieder angezündet wird. Von Till Magnus Steiner
Konflikt um den Tempelberg: Eskalation wahrscheinlich
Foto: Abir Sultan (epa/FLASH 90) | Wenn es heute nach dem Freitagsgebet also nicht kracht, dann doch wahrscheinlich nächste Woche, falls Israel versuchen sollte mit Polizeigewalt eine Schließung zu erzwingen.

Das Tor der Barmherzigkeit auf dem Jerusalemer Tempelberg ist ein Pulverfass, an dem gezündelt wird. Während der US-Sonderbeauftragte für den Nahen Osten, Jared Kushner, an einer arabisch-israelischen Allianz gegen den Iran arbeitet, die sozusagen nebenbei den Nahost-Konflikt lösen soll, legen währenddessen die erhofften Friedenspartner Israel, Jordanien und die Palästinensische Autonomiebehörde mal wieder die Lunte an den heiligen Ort. Heute, nach den Freitagsgebeten wird sie - mal wieder – angezündet werden. Vertreter der von Jordanien seit Kurzem mit der Beteiligung der Palästinensischen Autonomiebehörde geleiteten, islamischen Waqf-Behörde haben zu Protesten um den Tempelberg aufgerufen.

Wie soll an einem Ort Frieden herrschen, an dem die Machtverhältnisse nicht geklärt sind

Nüchtern betrachtet geht es nur um renovierungsbedürftige, zum Tor der Barmherzigkeit gehörende Räume. Aber zu diesem leerstehenden Ort werden von allen Seiten die Funken getragen, damit das Pulverfass explodieren kann. Wie soll auch an einem Ort Frieden herrschen, an dem die Machtverhältnisse nicht geklärt sind? Aus israelischer Perspektive gehört der Tempelberg zur unteilbaren Hauptstadt des jüdischen Staates – aber 1967 hatte dieser Staat, sich bereits kurz nach der Eroberung der Jerusalemer Altstadt dazu entschieden, die Verwaltung des für den Islam heiligen Ortes mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee in die Hände des gerade besiegten jordanischen Königtums zu legen. So hat der Tempelberg zwei Herren, denen er politisch dienlich ist.

Mitten im israelischen Wahlkampf hat sich nun Jordanien entschieden seine Macht am Tempelberg wieder mal zu zeigen und sich zugleich demonstrativ an die Seite der Palästinenser zu stellen. Der Waqf-Rat ist gegen den Willen Israels in die Räume am Tor der Barmherzigkeit vorgedrungen, und will sie in eine Moschee umwandeln. Die israelische Staatsanwaltschaft hat bei einem Gericht ein Ultimatum erwirkt: Der umstrittene Ort solle bis Montag wieder verschlossen werden. Aber dazu wird es anscheinend nur unter Gewaltanwendung auf beiden Seiten kommen: „Wir anerkennen die Gesetze der Besatzung nicht und wir werden den Drohungen der israelischen Polizei und Behörden nicht nachgeben,“ erklärte Abdel Qader, ein Mitglied des Waqf-Rates im Angesicht des Ultimatums.

Wenn es heute nicht kracht, dann nächste Woche

Wenn es heute nach dem Freitagsgebet also nicht kracht, dann doch wahrscheinlich nächste Woche, falls Israel versuchen sollte mit Polizeigewalt eine Schließung zu erzwingen. Aber warum sucht Jordanien gerade jetzt die Eskalation? Es handelt sich wohl um den Showdown vor der Veröffentlichung des US-amerikanischen Friedensplans für den Nahen Osten. Es gibt Gerüchte, dass der Tempelberg dem alleinigen Zugriff des jordanischen Königtums entzogen und einem panarabischen Rat unterstellt werden soll. Aber aus mehreren Gründen ist der sogenannte „Deal of the Century“, wie ihn der US-amerikanische Präsident Donald Trump nennt, bereits jetzt eine Totgeburt. Seit der Verlegung der US-Botschaft in Israel nach Jerusalem hat die palästinensische Autonomiebehörde jedwede Gespräche mit der US-Regierung abgebrochen. Vielleicht hofft man in Washington, man könne den Palästinensern einen Frieden aufzwingen.

Freundschaft zwischen Trump und Netanjahu kein Fundament für den "Deal of the Century"

Aber in den letzten Tagen ist auch in Israel deutlich geworden, dass die enge Freundschaft zwischen Donald Trump und dem jetzigen und vielleicht auch zukünftige israelischen Premierminister kein Fundament für den „Deal of the Century“ bieten wird. Zwar wirbt Benjamin Netanjahu mit seinen guten Beziehungen ins Weiße Haus auf Plakaten und in Videos, aber in seiner eigenen Partei werden die Stimmen lauter, die eine Annektierung des Westjordanlandes fordern. Und um seine Chancen auf eine Wiederwahl zu steigern, ist er ein Bündnis mit einer rechtsextremen Partei eingegangen, die anstatt einer Zwei-Staaten-Lösung die Vertreibung der Palästinenser bevorzugt. Ein führendes Mitglied dieser Partei, Baruch Marzel, fordert gar die Errichtung einer Synagoge auf dem Tempelberg.

Vom heutigen Freitagsgebet bis zum Ultimatum des Gerichts und einer angekündigten Demonstration für die Errichtung einer Synagoge auf dem Tempelberg am nächsten Donnerstag ist die Lunte bis zur Explosion des Pulverfasses sehr kurz. Doch auch wenn die Situation mal wieder kalkuliert eskalieren wird. Am Tempelberg bleiben die muslimische Welt und Israel wie zwei zerstrittene Siamesische Zwillinge untrennbar verbunden.

DT

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