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Ibiza: Einblick in charakterliche Abgründe

Nicht die FPÖ-Nationalisten, sondern der Bundespräsident aus grünem Stall erweist sich als Patriot.
Regierungskrise in Österreich
Foto: Georg Hochmuth (APA) | Alexander Van Der Bellen (l), Bundespräsident von Österreich, spricht mit Sebastian Kurz, Bundeskanzler von Österreich, nach einem Treffen in der Präsidentschaftskanzlei.

Österreichs ÖVP/FPÖ-Koalition ist gescheitert. Sebastian Kurz regiert als Kanzler einer Minderheitsregierung mit Experten weiter. Falls ihn am Montag nicht doch noch ein parlamentarischer Misstrauensantrag aus dem Amt kippt.

Für viele EU-feindliche Parteien in Europa galt die FPÖ-Regierungsbeteiligung als Stresstest

Auslöser der Regierungskrise, die zur Staatskrise eskalieren könnte, war ein im Juli 2017 heimlich aufgenommenes Video, das zwei FPÖ-Granden auf dem moralischen und intellektuellen Tiefstpunkt zeigt: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der kurz darauf Vizekanzler wurde, und seinen Vertrauten Johann Gudenus, zuletzt FPÖ-Fraktionschef.

Für viele EU-feindliche Parteien in Europa galt die FPÖ-Regierungsbeteiligung als Stresstest: Wien schien zu beweisen, dass eine Regierung aus Christdemokraten und Nationalisten harmonisch und erfolgreich regieren kann. Und nun das: Eine Woche vor der Europawahl wurde FPÖ-Chef Strache als machtgeiler Hasardeur entlarvt, der die auflagenstärkste Zeitung des Landes gerne in den Händen einer vermeintlichen russischen Oligarchin sähe, der auf Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit pfeift, der um russisches Schwarzgeld bettelt und dafür die Umgehung von Gesetzen empfiehlt.

Wer auch immer die Aufnahmen veröffentlicht hat: Es geht ihm um Europa

Nun ist Charakter keine Frage des Parteibuchs. Wer den Blick über die Regierungslandschaft Europas schweifen lässt, entdeckt Sozialisten wie Nationalkonservative, die ihren Staat als Beute betrachten und sich oder ihre Partei an Volksvermögen bereichern. Dennoch: Die Verachtung für den Rechtsstaat, seine Gesetze und Prinzipien ist an den Rändern besonders groß. Auch die Neigung, den Autokraten im Kreml mit wohlwollender Bewunderung zu sehen.

Wer immer die Ibiza-Falle stellte und das Video fast zwei Jahre später den Medien zuspielte: Er hat nicht versucht, die Koalition der ÖVP mit der FPÖ zu verhindern oder Strache zu erpressen. Dass die peinlichen Aufnahmen kurz vor der Europawahl veröffentlicht wurden, zeigt, dass es nicht um Österreich geht, sondern um Europa. Ibiza zeigt die Schattenseite eines Mannes, der als Oppositionsführer den Anwalt der kleinen Leute, den Saubermann, den Ankläger der angeblich korrupten „Altparteien“ mimte. Parallelen zu diesem Habitus gibt es in vielen Ländern Europas.

Präsident Van der Bellen als Schutzpatron der fragilen Kurz-Regierung

Während der FPÖ-Chef im moralischen Sumpf versankt, erwies sich der aus dem grünen Stall stammende Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Stunde der Krise als echter Patriot. Plötzlich ist der kauzig-kritische Präsident der Schutzpatron der fragilen Kurz-Regierung. Er mahnt die in Wahlkampfmodus schaltenden Oppositionellen, das Interesse des Landes über parteipolitisches Kalkül zu stellen. Staatsverantwortung vor Parteiinteresse: So geht wahrer Patriotismus.

DT/sb

Eine ausführliche Analyse der österreichischen Regierungskrise finden Sie in der aktuellen Ausgabe der "Tagespost" vom 23. Mai 2019.

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Stephan Baier Alexander Van der Bellen CDU Europawahlen Heinz-Christian Strache Johann Gudenus Regierungskrisen Russische Regierung Sebastian Kurz Staatskrisen

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