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Einigen, nicht trennen!

Viktor Orbán ist das schwarze Schaf der Christdemokraten – und bleibt das hoffentlich auch. Von Stephan Baier
Viktor Orban und Manfred Weber
Foto: Szilard Koszticsak (MTI) | Mit seinen Bemühungen, die Fidesz zu halten, hat Manfred Weber darum staatspolitische Größe gezeigt, auch wenn ihn dieses Engagement in Nord- und Westeuropa einige liberale Stimmen kosten wird.

Vor die Alternative gestellt, die Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán aus der christdemokratischen Parteienfamilie EVP hinauszuwerfen oder sie zu halten, entschied sich die EVP-Führung für einen Mittelweg: Die Zugehörigkeit wird „suspendiert“, also ausgesetzt, bis ein Weisenrat sie unter die Lupe genommen und eine salomonische Lösung erdacht hat. Oder bis Viktor Orbán die Reißleine zieht und sich zum Häuptling einer neuen Parteienfamilie krönt.

Die Causa Orbán drohte den gesamten Europawahlkampf zu überschatten

Die EVP musste rasch entscheiden, denn die Causa Orbán drohte den gesamten Europawahlkampf zu überschatten und den christdemokratischen Spitzenkandidaten Manfred Weber zu beschädigen. Zur Freude der politischen Konkurrenten, aber auch zum Gaudium von Orbán selbst, dessen Selbstbewusstsein und Prestige mit der Zahl und dem Zorn seiner Feinde zu wachsen scheint.

Ein Persilschein für Orbán und seine Partei war in der EVP am Ende nicht mehr möglich: Selbst konservative Christdemokraten, die seine Migrationspolitik schätzen, hatten von seinem Vorgehen gegen die Soros-Universität in Budapest und den Attacken auf die EU-Kommission die Nase voll. Ein Rauswurf aus der EVP schien vielen gleichwohl nicht gerechtfertigt: „Jede Familie hat ein schwarzes Schaf. Aber das schließt man doch nicht einfach aus“, meinte ein erfahrener Europapolitiker in der Vorwoche in Straßburg im Gespräch mit der „Tagespost“.

Orbán agierte in Ungarn mehr verbalradikal als diktatorisch

Zudem waren die Fidesz-Europaabgeordneten in Brüssel und Straßburg stets auf EVP-Linie, da gab es gar nichts zu beanstanden. Und Orbán selbst agierte in Ungarn auch mehr verbalradikal als diktatorisch. Das Schreckensgemälde vom illiberalen Populisten, der nach und nach den ungarischen Rechtsstaat zerlege, entspringt mehr den Strategien sozialistischer Wahlkampfmanager als der Wirklichkeit. Ist ja kein Wunder, so argwöhnen viele Christdemokraten, denn damit können die Sozialisten von den rechtsstaatlichen Mängeln ihrer Parteifreunde in Rumänien ablenken.

Die Suspendierung war also ein gelungener Kompromiss: Damit sollte ein Bruch in der EVP verhindert und das leidige Thema auf einen Zeitpunkt nach der Europawahl vertagt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Einsetzung des Weisenrates tatsächlich der Objektivierung dient, denn das Übermaß an Emotionen in dieser Debatte hat der Christdemokratie bereits genug geschadet. Möge nun auch Orbán der Versuchung widerstehen, seinerseits vor dem 26. Mai alles hinzuwerfen, um sich zum Märtyrer des Establishments zu stilisieren. Mit seinem Bekenntnis zum Christentum und zur Familie passt er bestens in die EVP, aber sein Hang zu nationalistischen Parolen und populären Vereinfachungen könnte ihn zum Star eines bunten Haufens von europaweiten Nationalisten machen.

Verabschiedet sich Orbán von der EVP, könnte Budapest zu einem unberechenbaren Faktor werden

Wenn Orbán sich von der EVP verabschiedet oder doch noch hinausgedrängt wird, dann droht Budapest in Europa zu einem unberechenbaren Faktor zu werden – zum Schaden Ungarns und der EU. Mit seinen Bemühungen, die Fidesz zu halten, hat Manfred Weber darum staatspolitische Größe gezeigt, auch wenn ihn dieses Engagement in Nord- und Westeuropa einige liberale Stimmen kosten wird.

DT

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