Distributismus – der Begriff klingt sperrig und lädt nicht gerade dazu ein, sich mit dem zu beschäftigen, was dahinter steht. Das lohnt sich aber. Denn es geht um eine Wirtschaftsordnung eines dritten Weges, weder kapitalistisch noch sozialistisch. In Deutschland ist heute mittlerweile die Wahrscheinlichkeit größer, dass Literaturwissenschaftler etwas mit dem Begriff anfangen können als Ökonomen. Gilbert Keith Chesterton, der britische Schriftsteller („Father Brown“), gehörte nämlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den Anhängern dieser Richtung. Ein zweiter Faktor: Viele der grundlegenden Schriften des Distributismus waren bisher nur sehr schwer zugänglich, geschweige denn in deutscher Übersetzung zu erhalten. Doch es deutet sich eine Wende an. Der Renovamen-Verlag hat nun Hillaire Bellocs „Der Sklavenstaat“ herausgebracht.
Eigentum konstituiert Freiheit
Belloc (1870–1953), der in Paris in einer französischen Familie geboren wurde, die kurz danach nach Großbritannien umsiedelte, war Schriftsteller, Journalist, Essayist. Sein Werk umfasst über 100 Veröffentlichungen, das Spektrum reicht von Romanen über Kinderbücher bis hin zu Sachbüchern zu historischen Fragen. Eine historische Perspektive entwickelt Belloc auch in „Der Sklavenstaat“, der 1912 erschienen ist. In dem Buchtitel steckt die Ausgangsthese von Belloc: Die ökonomische Grundlage der europäischen Gesellschaft sei vor der Christianisierung eine Sklavenwirtschaft gewesen. Erst mit der Ausbreitung des Christentums habe sich eine andere Wirtschaftsform durchgesetzt: der Distributismus. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Verb „distribuere“ ab, das so viel wie „teilen, verteilen“ bedeutet. Eine distributive Wirtschaftsordnung zeichnet sich danach dadurch aus, dass das Eigentum unter allen freien Bürgern verteilt ist. Aus Bellocs Sicht entspricht dies einer natürlichen Eigentumsstreuung, die sich durch die Christianisierung in Europa etabliert habe. Der Bruch setzt für ihn mit dem Kapitalismus ein, der durch die Reformation begünstigt, nun, so Bellocs Gegenwartsanalyse am Vorabend des Ersten Weltkrieges, zur dominierenden Wirtschaftsform geworden sei. Das Phänomen der Lohnknechtschaft steht für ihn im krassen Gegenteil zum Ideal des Distributismus, nach dem das Eigentum unter allen freien Bürgern verteilt ist und nicht in der Hand einiger weniger Kapitalisten konzentriert sein darf.
Ein Ansatz für die Gegenwart?
Die Alternative zu diesem Zustand liegt für Belloc entweder in einer Rückkehr zu dem Sklavenstaat vorchristlicher Prägung oder eben in einer Rückbesinnung auf das distributive Leitbild, der Freiheit durch Eigentum. Diese Position ist in einer durch die Wirtschafts- und Finanzkrise erschütterten kapitalistisch geprägten Welt interessant. Freilich stellt sich die Frage, wie sich dieser Ansatz heute konkret wirtschaftspolitisch umsetzen ließe. Gibt es Überschneidungen zu den aktuellen Thesen des liberalen Ökonomen Paul Collier, der einen „sozialen Kapitalismus“ fordert und die Etablierung einer „Rottweiler-Gesellschaft“ beklagt? Diesen Fragen soll in den kommenden Wochen in loser Folge in einer Debatte nachgegangen werden.
Hillaire Belloc: Der Sklavenstaat. Renovamen-Verlag 2019, ISBN-978 3-95621-137-9. 16,- EUR