Das Pontifikat Johannes Pauls II. gehört aus sozialethischer Sicht zu den spannendsten in der Kirchengeschichte. Einmal weil dieser Papst durch seine Unterstützung der polnischen Reformer in der Gewerkschaft Solidarnosc entscheidend zum Fall des Kommunismus beigetragen hat. Und auch, weil er in seinen Sozialenzykliken bedeutende Akzente zur Fortentwicklung der Soziallehre gesetzt hat.
Kritik an Kommunismus und Neoliberalismus
Wenn sich Johannes Paul in seiner ersten Sozialenzyklika „Laborem exercens“ 1981, die bedingt durch das Attentat auf ihn verzögert erscheint und auch als deutliche Unterstützung für die polnische Gewerkschaftsbewegung gedeutet werden darf, anti-kommunistisch gibt, hindert ihn dies nicht daran, die Folgen des Neoliberalismus ähnlich deutlich zu kritisieren.
Arbeit ist für den Papst nicht nur ein ökonomischer Faktor, sondern Arbeit ist ein Gut für den Menschen, weil er durch sie „auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen mehr Mensch wird“. Daraus entwickelt Johannes Paul den Grundsatz, dass Arbeit grundsätzlich der Vorrang vor dem Kapital zukomme. Gut 25 Jahre vor Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es in der Enzyklika: „Da der Behinderte ein personales Subjekt mit all seinen Rechten ist, muss ihm die Teilnahme am Leben der Gesellschaft in allen Dimensionen und auf allen Ebenen, die seinen Fähigkeiten zugänglich sind, ermöglicht werden.“
In seiner zweiten Sozialenzyklika „Sollicitudo rei socialis“, verfasst aus Anlass der 20-jährigen Wiederkehr von „Populorum progressio“, rückt Papst Johannes Paul II. die soziale Dimension der Entwicklungszusammenarbeit in den Mittelpunkt. Die „Option vorrangige Liebe für die Armen“ sieht allerdings in den Augen des Papstes nicht die einen als die Hilfsbereiten und die anderen als die Empfänger der Hilfe; Entwicklungshilfe dürfe sich nicht nur auf das Materielle beschränken, sondern müsse das Gegenüber als eigenständiges Subjekt begreifen. Dies bedeute den Respekt vor dem zu entwickelnden Land und seinen Akteuren genauso wie die Eigenverantwortlichkeit dieser Länder für ihre Entwicklung selbst.
„Centesimus annus“: Warnung an den Westen
„Centesimus annus“ entsteht 1991 zum 100-jährigen Geburtstag von „Rerum novarum“, aber auch unter dem Eindruck des Falls des Eisernen Vorhangs und ist quasi eine Synthese der beiden vorangegangenen Sozialenzykliken Johannes Pauls II.
Der Papst würdigt die Sicht Leos XIII. auf den Kommunismus und sieht diese im Zusammenbruch des Ostblocks bestätigt. Allerdings mahnt er fast visionär für die post-kommunistische Phase: „Es besteht die Gefahr, dass sich eine radikale kapitalistische Ideologie breitmacht.“
Auch wenn Johannes Paul die Auswirkungen eines freien Marktes grundsätzlich positiv sieht, lässt er der Betonung des Rechts auf Privateigentum eindringlich, Thomas von Aquin zitierend, die Einschränkung folgen: „Der Mensch muss die äußeren Dinge nicht wie ein Eigentum, sondern wie gemeinsames Gut betrachten, denn über den Gesetzen und den Urteilen der Menschen steht das Gesetz und der Richtspruch Christi.“
„Es besteht die Gefahr, dass sich nach dem Zusammenbruch der Diktatur diese Gefühle des Hasses und des Zornes neu entladen.“
Johannes Paul II.
Es bestehe die reale Gefahr, dass der Westen die Entwicklung lediglich als einen Sieg des überlegenen Systems begreife, gleichzeitig aber ausblende, dass dem marktwirtschaftlich orientierten System seinerseits auch ein Korrekturbedarf innewohne.
Weder den Balkan noch die russischen Teilrepubliken nennt die Enzyklika beim Namen, aber Johannes Paul schreibt: „Es besteht die Gefahr, dass sich nach dem Zusammenbruch der Diktatur diese Gefühle des Hasses und des Zornes neu entladen“ und schlägt vor, internationale Strukturen zu schaffen, die in der Lage sind, notfalls per Schiedsspruch einzugreifen und Gewalt zu verhindern.
„Centesimus annus“ findet über die katholische Kirche hinaus einen breiten, positiven Widerhall. Bis heute bemüht sich eine nach dieser Enzyklika benannte Stiftung, die katholische Soziallehre fortzuschreiben und auch in all jenen Ländern Unterstützer zu suchen, die bisher kein der Sozialen Marktwirtschaft ähnliches Wirtschaftssystem kennen.
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