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Honfleur: Wo die Impressionisten malten

Rund um das Alte Hafenbecken von Honfleur drängen sich Touristen und Künstler in der alten französischen Hafenstadt, in der die Zeit stillgestanden zu sein scheint – Überragt wird Honfleur von der Kirche Sainte-Catherine.
Honfleur, an der Mündung der Seine gelegene Stadt mit seinem Vieux Bassin
Foto: Wolfgang O. Hugo | Honfleur, an der Mündung der Seine gelegene Stadt mit seinem Vieux Bassin, zieht bis heute Maler, Künstler und Touristen an.

Die Ufer des Hafenbeckens, um das sich fotografierende Touristen drängen und das Künstler auf die Leinwand bannen, könnten unterschiedlicher nicht sein: Am Quai St. Etienne zeugen steinerne Prachtbauten, mit zwei Stockwerken und Mansarden, vom Wohlstand früherer Besitzer. Im Kontrast dazu der Quai Sainte Cathérine: Bis zu siebenstöckige, oft hölzerne Häuser, schräg und schmal wie ausgebreitete Handtücher, mit aufgesetzten Dachgauben, meist mit Schieferplatten gegen das Wetter geschützt. Komplettiert wird das Hafen-Ensemble, geschaffen unter Wirtschaftsminister Colbert, von der generalsanierten La Lieutenance. Hier wohnte einst der Leutnant des Königs, der Gouverneur von Honfleur. Integriert ist die Porte de Caen, früher Stadttor in Richtung Westen. Eine Tafel erinnert daran, dass von Honfleur, an der Mündung der Seine in den Ärmelkanal gelegen, Samuel de Champlain aufgebrochen ist, 1608 gründete er die Stadt Québec in Kanada. Oberhalb des Hafenbeckens auf der Place Sainte-Cathérine, Herz des gleichnamigen Viertels: Ein Ensemble alter Fachwerkhäuser und eine einmalige Kirche. Denn nach dem Hundertjährigen Krieg und dem Abzug der Engländer waren Maurer und Architekten rar, ungeduldig beschlossen die Schiffsbauer von Honfleur, ihre Kirche selbst aufzubauen: Zwei umgestülpte Schiffsrümpfe bilden das Dach der Doppelkirche, dazu kommen kleine Seitenschiffe, das Ganze errichtet mit Pfeilern aus Eichenholz. Noch ungewöhnlicher ist der Kirchturm, eine Art Campanile aus Eichenholz, mit Kastanienholz verkleidet und einer Glöcknerstube im Untergeschoss.

Das Licht über der Seinemündung zieht Künstler an

Nicht nur das Vieux Bassin hat es Künstlern angetan. Der Schriftsteller Charles Baudelaire, der sich nach Honfleur zu seiner Mutter zurückgezogen hatte, erklärte: „Mon installation à Honfleur a toujours été le plus cher de mes rêves“, was so viel bedeutet, dass Baudelaire seine Entscheidung für einen Traum nicht bereut hat.

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Eine Menge von Künstlern strömt ab dem 19. Jahrhundert in den Ort, Alfred de Musset logiert in St. Gatien bei seinem Freund Ulrich Guttinger. Es sind aber vor allem die Maler, die hier an der Mündung der Seine auf ihre Kosten kommen. Nicht nur Normannen wie Eugène Boudin, Hamelin, Albert Lebourg, auch aus Paris, wie Paul Huet, Charles-François Daubigny, Camille Corot und dem Ausland. Maler wie Bonington und Jongkind kommen nach Honfleur. Meister aller Schulen eilen nach Honfleur, auch die Pointillisten wie Georges Seurat; Fauvisten wie Raoul Dufy erliegen dem Charme der Stadt und des Lichts. Auch heute noch versuchen mehr oder weniger talentierte Künstler, Honfleur, seine Straßen, Gassen, das Licht und den Genius mit dem Pinsel einzufangen. Zahlreiche Galerien und die Greniers à sel, die früheren Salzspeicher, beherbergen Ausstellungen. Im Musée Eugène Boudin zeigen neun Säle die Werke dieses großen Impressionisten, 1824 in Honfleur geboren, sowie anderer Küstenmaler der Normandie bis zur Neuzeit.

Gründung der Wikinger

Ein Gründungsjahr für Honfleur können Pascal Lelièvre, Historiker und Präsident der Association Vieux Honfleur und Pierre Jan, Stadtchefarchivar, nicht nennen. Aber sicher ist: Honnefleu, wie es im 11. Jahrhundert hieß, ist eine Gründung der Wikinger, auf dem linken Ufer der Mündung der Seine und idealer Ausgangspunkt für Expeditionen in die weite Ferne. Rund 4 000 Fischer und Bauern aus der Normandie folgen dem Edelmann und Kapitän, auch der Handel mit Pelzen floriert. Aber im 16. Jahrhundert versandet der Hafen von Honfleur. Der Abstieg von Honfleur ist die Chance für Le Havre, heute eine Stadt mit 200 000 Einwohnern, die 2017 ihren 500. Geburtstag feierte. Die Gründung der Stadt bestätigt König Franz I. in einem Dekret vom 8. Oktober 1517. Ähnlich wie Bordeaux und Nantes brachte es Le Havre zu Reichtum durch den Handel mit Sklaven, Kaffee, Zucker und Kakao, doch seit einiger Zeit ist klar: Auch Honfleur profitierte vom Handel mit Sklaven, wie Inschriften an Häusern in der Altstadt belegen. Le Havre versank Ende des letzten Weltkriegs im Bombenhagel, wurde vom Architekten Auguste Perret modern und großzügig wieder auf gebaut und 2005 in das Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen.

Cidre, Calvados und Camembert

Höhepunkt der Woche in Honfleur ist unbestreitbar der samstägliche Wochenmarkt auf der Place Sainte-Cathérine. Bereits in der Nacht und den frühen Morgenstunden werden die Stände aufgebaut und der Markt zeigt, dass die Stadt an der Seinemündung ein reiches Hinterland hat: Das Pays d´Auge, ein immergrünes Weideland, in dem Milch, Sahne und Honig fließen. Aus den Äpfeln entstehen Cidre, Calvados, aus Milch und Sahne Camembert, dazu kommt, was normannische Metzger und Bäcker zu produzieren verstehen und was Meer und Flüsse liefern. Dabei gibt es in Honfleur immer weniger Fischer, gerade mal zehn Boote liefern ihren Fang in der Stadt ab. Dafür kommen immer mehr Besucher am Terminal Croisières in Honfleur an, dazu die Flussschifffahrer, die zwischen Paris und Honfleur schippern. Ein Ziel für Ausflugsboote ist die Pont de Normandie, die seit gut 20 Jahren beide Ufer der Seine miteinander verbindet, überragt von ihren beiden 215 Meter hohen Pylonen. Am 1. Januar 2016 wurde aus der oberen und der unteren Normandie eine Region, wie einst, mit dem Namen Normandie. Noch sind die Wunden nicht verheilt, denn Rouen und Caen müssen sich Institutionen und Behörden teilen, den Titel der Hauptstadt bekam Rouen im Seinetal.

Vom tiefen Glauben der Seefahrer zeugt die Kapelle Notre-Dame-de-Grâce, rund eineinhalb Kilometer oberhalb der Stadt Honfleur gelegen und seit über einem Jahrtausend der Marienverehrung gewidmet. Erste schriftliche Belege gibt es im 11. Jahrhundert, die heutige Form erhielt Notre-Dame erst im 17. Jahrhundert. Seit 1861 ist sie der Endpunkt einer Prozession am Pfingstmontag beim „Fête des Marins“, die hier mit einer Messe unter freiem Himmel endet. Auch wenn die Rolle der Seefahrt und der Fischer in unseren Tagen nicht mehr der reichen Geschichte entspricht, in Honfleur ist man überzeugt: Notre-Dame-de-Grâce wacht weiterhin über das Vieux Bassin im Honfleur und die Mündung der Seine.

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