Kirchenkunst

Ist Gott ein QR-Code?

Die große Aufregung blieb aus, dabei sollte die neueste Görlitzer Kirchenkunst durchaus zu reden und erst recht zu denken geben.
Kathedrale St. Jakobus
Foto: Thomas Schneider / bildbaendiger | Das neue Deckenfresko in der Görlitzer Kathedrale gibt Gläubigen und Besuchern Rätsel auf.

Da steht der Katholik am Altar der Görlitzer St.-Jakobus-Kathedrale und versteht nicht mehr, was seine Kirche ihm sagen will, denn plötzlich vermag er ihre Symbole nicht mehr zu deuten. Wie kann das sein? An der Gewölbedecke der Görlitzer Kathedrale macht sich neuerdings ein Rätsel breit, das sich nicht mit einem Blick in die Bibel oder einen Kunstreiseführer lösen ließe, sondern nur mit dem Griff zum Smartphone. Das wird gen Himmel gestreckt, um einen gigantischen QR-Code zu scannen. In dottergelber Farbe vor zartblauem Grund gepinselt, dominiert dieses Symbol für Konsum und Informationstechnologie den sakralen Raum und vertreibt erst einmal jeden Anflug von Spiritualität.

Dieser Code, den wir bislang von Milchpackungen und Bahntickets kannten, ist das Highlight einer zweijährigen Sanierung des Innenraums, die Ende 2021 abgeschlossen wurde. Während die anderen Restauratoren den alten, meist blumigen Motiven an den Kirchenwänden zu neuem Glanz verhalfen, setzte der brandenburgische Künstler Helge Warme das Brandzeichen der Neuzeit an die Kuppeldecke. Ursprünglich wurde die viereckige Matrix aus schwarzen und weißen Quadraten für die Logistik in der Automobilindustrie entwickelt, um Informationen zu codieren und leicht abrufen zu können. Quick Response, eine schnelle Antwort, wird damit garantiert. Nun soll sich also auch Gott sputen, um in der digitalen Welt mithalten zu können, und so geht ein konsequent fortschrittlicher Schöpfer im sächsischen Görlitz nun eben online. Oder? Nein, er tut nur so.

Ausbleibende Offenbarung

Auch nach mehrfachen Scanversuchen mit verschiedenen Smartphones bleibt die Offenbarung aus. Kein Triumph der Technik, die Digitalisierung des Glaubens scheitert an dieser Stelle, der Code ist nicht lesbar. Gott spricht erst, nachdem man die beiden im Boden eingelassenen Metallplatten gefunden hat, die den QR-Code ebenfalls tragen. „Komm und folge mir nach. (Mk 10,21)“ steht auf dem Handy-Display. Mehr nicht, dabei wäre Kontext wichtig. In einem QR-Code können bis zu 7 089 Ziffern oder 4 396 Zeichen gespeichert werden. Diese Kapazität haben die Görlitzer für ein vollständiges Zitat aus dem Markusevangelium nicht genutzt, und so wissen doch wieder nur Glaubensinsider und Google-Detektive, dass der Aufforderung, Jesus zu folgen, eine Anweisung vorausgeht: „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben.“ Reiche gelangen eben nicht in das Reich Gottes, lautet die ganze Botschaft, und die würde durchaus dazu taugen, Besitzer sündhaft teurer Smartphones ein klein wenig zu beschämen. Steckt etwa Absicht dahinter, lässt sich der funktionslose Decken-QR-Code noch reparieren, und was wird wohl als Nächstes kommen? Beichten via WhatsApp, Kollekte per PayPal und die Bewertung der sonntäglichen Predigt durch schnellen Mausklick? Ein Segnungsroboter namens BlessU-2 war ja bereits in einigen deutschen Kirchen im Einsatz. Mit metallischem Surren und hektischem Blinken erteilte er Kirchgängern seinen Segen und druckte einen Bibelspruch aus. Warum also nicht auch ein QR-Code als Botschafter und Sinnspender?

Absolute Geschmacklosigkeit oder gewagter Versuch?

Sollten die Görlitzer mit der Wahl des kuriosen Deckenkunstwerks versuchen wollen, auch die Touristentauglichkeit ihrer ansonsten backsteinbiederen Kirche zu steigern, fiel die Resonanz bislang eher enttäuschend aus. Die ersten Städtetouristen urteilen auf Tripadvisor über den Code wahlweise als „eine absolute Geschmacklosigkeit“ oder „eine gewagte Verbindung von Tradition und Moderne“.

Ob nun ausgerechnet ein QR-Code in den Kanon der christlichen Bilderwelt eingehen und dort neben unzähligen Meisterwerken der Kunst stehen soll, wurde bislang jedoch nicht gefragt, und auch nicht, ob man den Kirchenraum mit diesem Industriesymbol nicht zu einer bloßen Benutzeroberfläche degradiert und Technik zu einer Trivialisierung von Religion führen wird.

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Höre, du blinder Mensch

Die Gemeinde der St.-Jakobus-Kathedrale könnte angesichts solch kritischer Fragen völlig gelassen bleiben, gab es in ihrer Stadt doch einen, der bereits vor 400 Jahren eine Antwort für alle parat hatte, die heute an dem extravaganten Deckenfresko herummäkeln. Jacob Böhme heißt das Kaninchen, das die Görlitzer einfach aus dem Hut der pfiffigen Begründungen zaubern müssten, um ihre Kritiker verstummen zu lassen. Böhme war ein in Schlesien geborener Schuhmachermeister, der von 1599 bis zu seinem Tod in der Neißestadt lebte. Weil dieser glaubensstarke Handwerker nicht allein an seiner Werkbank, sondern noch lieber an seinem Schreibtisch saß, kennt die Welt ihn als Visionär, Mystiker und als den ersten deutschen Philosophen, so jedenfalls hat Hegel ihn genannt. Als Böhme zur Berühmtheit wurde und er in den intellektuellen Kreisen Europas begeisterte Anhänger fand, waren die religiösen Autoritäten seiner Heimatstadt alles andere als erfreut. Für die Kirche waren seine Ideen zu radikal. Das populäre Gottesbild von einem Mann mit Bart und langem Gewand ersetzte Böhme durch die Vorstellung, dass Gott ein binärer, fraktaler und sich selbst reproduzierender Algorithmus sei und das Universum eine genetische Matrix. Sapperlot! Das hätte auch schon die Beschreibung für einen QR-Code sein können – ein Verfahren (Algorithmus) zur Informationsverschlüsselung, das auf nur zwei Ziffern (binär) basiert und dessen Resultat ein Quadrat aus lauter kleinen Quadraten ist, also ein geometrisches Muster, bei dem das Ganze seinen einzelnen Bestandteilen ähnelt (Fraktal). Das aufdringlich gelbe Zeichen in der Görlitzer Kathedrale hätte Böhme, ein feinsinniger und bescheidener Mann, vermutlich aus ästhetischen Gründen bedauerlich gefunden, aber sehr wohl bestritten, dass damit jede metaphysische Bedeutung vor die Hunde geht. „Denn du darfst nicht sagen: Wo ist Gott? Höre, du blinder Mensch, (...) wo du nur hinsiehst, das ist Gott.“

Verehrer des Philosophen pilgern heute zu einer Böhme-Ausstellung, eingerichtet in seinem ersten Wohnhaus am Ufer der Neiße, und auf den Görlitzer Nikolaifriedhof, wo ein großer, geschliffener Findling Jacob Böhmes Grabstelle ziert. Darauf eingraviert sind seine Lebensdaten und der Hinweis auf eine Bibelstelle, mit der des Verstorbenen angemessen gedacht werden soll – Offenbarung 3,5. Doch was fehlt? Ausgerechnet der aufklärende QR-Code.

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