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Mosesberg im Sinai: Schnee in der Wüste

Auf dem Mosesberg im Sinai, wo der Überlieferung zufolge der Prophet Moses die Zehn Gebote empfangen hat, treffen sich heute Touristen zum Sonnenaufgang. In den Tälern um den Berg gärtnern Beduinen und nutzen Wissen aus byzantinischer Zeit.

Den Fußstapfen Moses zu folgen, gehört zu den Höhepunkten jedes Besuchers auf der ägyptischen Sinaihalbinsel. Das macht man am besten des Nachts wegen des großartigen Sonnenaufgangs inmitten des Sinaigebirges. Die Bergtour dauert rund drei Stunden: 2 400 Meter Weg, 700 Höhenmeter, 4 000 Treppenstufen. Die Route ist steinig, der Sternenhimmel umso beeindruckender, den es so wohl nur in der Wüste gibt. Die nächstgrößere Stadt liegt 350 Kilometern durch den Sand in die eine Richtung, in die andere sind es drei Autostunden bis zum Roten Meer mit seinen bei europäischen Urlauben beliebten Badeorten.

Mit dem Bergführer unterwegs

Von dort ist das Sammeltaxi – ein klappriger Peugeot 504 – gekommen. Wer zum Mosesberg hoch will, steigt am Polizeibüro in der kleinen Ortschaft St. Katherine aus – für die Registrierung des Passes und Zuweisung eines Bergführers. Wie Mohamed – um die zwanzig, schmächtig, mit einem gewinnenden Lächeln. In ausgefransten Hosen und kaputten Schlappen steht er da – bereit für die Erklimmung des 2 285 Meter hohen heiligen Berges! Er hat schon viele hinaufgeführt, versichert der Beduine. Ob aus den USA, Korea, Griechenland oder Afrika. Die Welt kommt zu ihm, sagt er.

Mosesberg
Foto: Petra Jacob | Je näher der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs rückt, desto mehr Menschen erreichen den Gipfel des Mosesbergs. An manchen Tagen können es viele Hunderte sein.

Um zwei Uhr morgens geht es mit Taschenlampe los. Natürlich könnte man zum Mosesberg auch tagsüber aufsteigen, dann ist es aber sehr heiß. Wer oben ankommt, bestellt sich in einer der Bretterbuden heißen Pfefferminztee. Im Angebot sind auch Kekse und Zigaretten. Die Hüttenbesitzer tragen lange Kapuzenmäntel, um den Kopf ein Tuch gewickelt. Müde Gäste dürfen in den Hütten auf den – zugegeben etwas schmuddeligen – Fleckerlteppichen ein Nickerchen machen. Aber nicht zu lange. Besser eine Decke (gegen Leihgebühr) besorgen – morgens ist es sehr frisch am Berg – und sich einen guten Aussichtspunkt auf den exponierten Felsen suchen. Nebenan steht die dem Propheten Moses geweihte kleine Kapelle, irgendwo hier soll er die Zehn Gebote von Gott empfangen haben, so genau weiß man es nicht.

Zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel

Je näher der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs rückt, desto mehr Menschen erreichen den Gipfel. An manchen Tagen können es viele Hunderte sein. Gegen halb fünf fängt die Sonne an sich zu zeigen und verwandelt die Berge zu einem Meer aus versteinerten Wellen. Binnen einer Stunde verfärbt sich das Granitgebirge rosa. Ein einmaliger Anblick. Für den Abstieg folgt man dem Wegweiser „Stairs to Monastery“; er führt auf direktem Weg zum Katharinenkloster hinunter. Über 2 000 Stufen, angelegt von einem einzigen Mönch in Erfüllung eines Bußgelübdes.

Das Kloster wurde im 6. Jahrhundert vom byzantinischen Kaiser Justinian gegründet, um Pilgern Schutz und Unterkunft zu bieten. Damals zogen tausende Eremiten, Mönche und Siedler vom Mittelmeer in den Sinai. Es ist das älteste immer noch bewohnte Kloster des Christentums, berühmt für seine Ikonen und eine der ältesten Bibliotheken der Welt. Relativ unbekannt ist, welch famosen Einfluss der Klostergarten auf seine Umgebung hatte. Denn die Zuwanderer brachten auch Gärtnerwissen mit. Sie passten es an die lokalen Begebenheiten an und die Ideen wanderten über die Klostermauern hinaus.

Beeindruckende Klostergärten

Noch heute leben um das Kloster herum Beduinen vom Stamm der Dschebillan, ihre Vorfahren wanderten im 6. Jahrhundert aus dem heutigen Mazedonien ein. Ursprünglich Christen, konvertierten sie später zum Islam, der heute vorherrschenden Religion in Ägypten. Durch Heirat vermischten sie sich mit den Beduinenstämmen des Sinais. Noch heute gärtnern sie mit Wissen aus damaliger Zeit, ihre Wüstengärten liegen in den von St. Katherine in alle Richtungen abgehenden Täler.

„Diese Art von Gärten gibt es nirgendwo sonst“, schwärmt Zoltan Matrahazi. Der Ungar lebte zwischen 2005 und 2016 mit den Beduinen vor Ort und hat für ein EU-Projekt ihre Gärten kartiert und Wanderführer ausgebildet, um sie für den Tourismus zu erschließen. So werden zum Beispiel durch die Veredelung mit einheimischen Stammhölzern Mandeln, Äpfel oder Pflaumen angebaut – ganz untypische Pflanzen für Ägypten.

Wie ein großer Sandkasten wirkt der Garten von Salem El Hinaney am Ortsrand von St. Katherine. Aus dem kargen Gelb staksen Bäumchen und Pflanzen. In den Wintermonaten erntet der junge Beduine hier mit seinem Vater Feigen, Mandeln, Äpfel, Granatäpfel und Quitten. Aber auch Kräuter wie Minze, Rosmarin und Salbei. Stolz zeigt Salem auf einen reich mit Oliven behangenen Baum. Die Oliven-Auflage wurde mit einer Hagedorn-Unterlage veredelt, an einem anderen Baum wachsen Quitten und Mandeln an ein und demselben Stamm.

Kloster mit eigener Quelle

„Viele Berge sind im Sinai über 2 000 Meter hoch, da kann es im Winter empfindlich kalt werden und schneien.“

Und das Wasser? Das kommt von einer unterirdischen Quelle, verrät Salem El Hinaney. „Drei bis vier Mal im Jahr regnet es – dann aber richtig.“ Manchmal so heftig, dass der ganze Jahresniederschlag in wenigen Stunden niederprasselt. Da bis zu 85 Prozent der Region aus rotem Granitfels besteht, fließt das Wasser schnell ab und formiert sich in den Tälern und Schluchten zu Sturzbächen. Um diese zeitweise auftretenden Wassermassen zu nutzen, sind viele der Gärten im trockenen Flussbett angelegt. Über Kanäle wird das Regenwasser in die Gärten umgeleitet. Überschuss fließt in die Auffangtanks, speist die Brunnen oder versickert im Sand und füllt die unterirdischen Quellen. Auch Schneeschmelze unterstützt das Auffüllen der unterirdischen Wasserquellen. Schnee in der Wüste? „Viele Berge sind im Sinai über 2 000 Meter hoch, da kann es im Winter empfindlich kalt werden und schneien.“ Den Gartenbesitzern ist Schnee lieber als die oft starken Regenfälle, da er sehr langsam in den Boden eindringt.

In Begleitung der Bergführer Abdul El Mineme und Mohammed Saed Saleh geht es auf Tour zu den versteckt liegenden Gärten. Eine Stunde Fußmarsch hinter St. Katherine der Erste. Im Garten El Freish wachsen Feigen, Mandeln, Oliven, Datteln, Kräuter und Tabak. Für die Weiterreise pflückt Abdul Mandeln und Datteln von den Bäumen und rollt sich aus Tabakblättern eine Zigarette. Nach einer weiteren Stunde Marsch ein Garten, der zum Katharinenkloster gehört. „Der wird besonders gut bewirtschaftet”, erklärt Abdul. Das sehe man an dem ausgeklügelten System aus Bewässerungsrinnen, die sich durch den Wüstensand ziehen. Die Oliven- und Aprikosenbäume sind in Erdmulden gepflanzt und von einem Kreis aus Steinen eingefasst – so geht nicht ein Tropfen kostbaren Wassers verloren.

Tourismus als Chance

Unterwegs durch die immer wieder beeindruckende Bergwelt, zeigt Mohammed auf dieses oder jenes zwischen den Felsbrocken wild wachsende Kraut. Er hat viel von seinem Onkel gelernt, dem inzwischen weit über St. Katherine hinaus bekannten Dr. Ahmed Mansour. Dessen großer Bergkräutergarten ist das Ziel des Tages. Dort steht auch eine einfach Lodge zum Übernachten. Dr. Ahmeds Garten gehörten zu einer Reihe von Wüstengärten, die ihre Tore Besuchern geöffnet haben. Wer möchte, kann länger bleiben und bei der Gartenarbeit oder Ernte helfen. „Tourismus ist eine Chance für unsere Gärten“, so Abdul. Nicht nur beschert er den Gartenbesitzern ein willkommenes Einkommen, sondern trägt auch dazu bei, diese alte Gartenkultur am Leben zu erhalten.

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Petra Jacob Sachs Christen Justinian I. Mönche Sinai-Halbinsel

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