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Klostererlebnistage am Bodensee: Kirchen, Klöster, Weltkultur

Bei den Klostererlebnistagen in der Vierländerregion am Bodensee kann jeder einmal hinter Klosterpforten blicken.
Insel Reichenau, Kirche St. Peter und Paul
Foto: Imago | Die Kirche St. Peter und Paul auf der Insel Reichenau.

Besonders interessant sind die Klostererlebnistage für alle, die schon immer einmal wissen wollten, wie geht Kloster heute? Oder wie sah früher der Alltag von Mönchen und Nonnen aus? Bei der dritten Veranstaltung der Reihe erleben die Besucher vom 8. bis zum 11. Oktober 2020 ehemalige und aktive Klöster hautnah. Mehr als 20 Klosterorte öffnen rund um den Bodensee ihre Pforten und gewähren ungewöhnliche und auch persönliche Einblicke.

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Betreten der Baustelle erlaubt

Baustelle betreten ist auf dem Campus Galli in Meßkirch ausdrücklich erlaubt! Jeder kann auf der altertümlichen Anlage selber Hand anlegen und den Zimmermännern, Steinmetzen und Schmieden helfen, den St. Gallener Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert zu verwirklichen. Das Klosterdorf sollte ursprünglich auf der Insel Reichenau auf dem Bodensee errichtet werden. Die Umsetzung über 1 000 Jahre später wird mehrere Jahrzehnte dauern und kann seit 2013 in einem Waldstück bei Meßkirch besichtigt werden. Der St. Gallener Klosterplan gilt als älteste überlieferte Bauzeichnung. Im Auftrag des Klosters in St. Gallen in der Schweiz zeichneten ums Jahr 830 Mönche der Insel Reichenau den Plan eines Klosters mit über 50 Gebäuden, darunter eine Kirche, Handwerkerstätten, Stallungen und Gärten. Dann verschwand der Plan und schlummerte irgendwo im Archiv der Stiftsbibliothek St. Gallen, wo sich auch heute noch das Original befindet.

Dumpfe Schläge hallen durch die Stille im Wald um den Campus Galli und zeigen an, dass die Mittagspause vorüber ist. Die Arbeiter, ein Stamm von rund 40 festen Mitarbeitern und freiwilligen Saisonkräften, gehen zu ihren Werkstätten zurück. Kurz darauf hämmert und klopft es wieder auf der historischen Baustelle. Bevor mit dem Bau des ersten Gebäudes begonnen wurde, mussten erst einmal die mittelalterlichen Werkzeuge und Hilfsmittel gefertigt werden. Es soll alles so authentisch wie möglich sein. Seit sieben Jahren wird der uralte Plan nun in die Tat umgesetzt. Auch auf dem Campus Galli leiden die Arbeiten unter Corona. Denn in diesem Jahr können nur freiwillige Arbeiter mithelfen, die bereits schon auf der Mittelalterbaustelle gearbeitet haben und sich auskennen.

Erkenntnisse über die karolingische Architektur

Über vier Jahre dauerte der Bau des bislang größten Gebäudes, der beeindruckenden Holzkirche. Für den Glockenturm wurde eine Bronzeglocke im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments gegossen. Wann sich die Arbeiter an die große Steinkirche wagen, das Herzstück der Anlage, ist noch ungewiss. Zu der Anlage gehören auch Werkstätten, Wohnhäuser und eine Schule, ganz ohne moderne Gerätschaften und Maschinen erbaut, um wissenschaftliche Erkenntnisse über die karolingische Architektur zu gewinnen.

Heute kann man zuschauen, wie ein Seiler Taue fertigt. Der Hüne mit dem grauen Zopf erklärt, dass die Seile für die Dachkonstruktionen, für Kleidung und vieles andere benötigt werden. Wer hier beim Herumgehen nicht fragt, dem bleibt einiges verborgen. Die Mitwirkenden haben nämlich viel Interessantes über die damaligen Arbeitsmethoden zu erzählen. Die Sicherheit geht auf der Baustelle vor. Daher tragen die Steinmetze moderne Schutzbrillen, wenn sie die riesigen Steinblöcke mit den eigens dafür geschmiedeten Äxten zurechthauen. Ihre klobigen Holzschuhe entsprechen den Sicherheitsstandards. Statt mit dem Laster werden die Felsbrocken dann allerdings mit Ochsenkarren transportiert. Die schwere körperliche Arbeit ist schweißtreibend und die beiden Metze kommen unter ihren Gewändern ganz schön ins Schwitzen.

Ein lebendiges Museum

Die Wolle für die Kleidung kommt von den umliegenden Schafherden. Spinnerinnen weben die gefärbten Garne zu Stoffen. Dazu sammelt und trocknet die Färberin heimische Kräuter und Blumen, die es auch im Mittelalter gab, denn bereits unsere Vorfahren mochten es farbig. „Mir gefällt es, die alten Fertigkeiten wieder zu entdecken – auch wenn es aufwendig ist, die Pflanzen mit den Wollfasern wieder und wieder aufzukochen, um schöne Farben zu bekommen“, erzählt eine der freiwilligen Mitarbeiterinnen des Projekts. „Ich schätze jetzt meinen Schrank voller Kleider wieder richtig, denn bis zum fertigen Knäuel dauert es knapp eine Woche.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichten die meisten Freiwilligen, die sich für mindestens eine Woche oder auch für längere Zeit auf dieses Abenteuer einlassen. Hier herrscht kein Termindruck – Geduld steht im Vordergrund. Und dennoch sieht jeder Einzelne am Ende des Tages, was er aus eigener Kraft geleistet hat – sei es ein neues Gewand oder ein paar Meter Seil.

Der Campus Galli ist ein lebendiges Museum und die Besucher spüren das Mittelalter hautnah. Am besten erkundet man die Anlage auf dem rund eineinhalbstündigen Rundweg, der bei der Gallus-Eremitage beginnt. Die Route Welterbe Klosterplan verbindet den Entstehungsort Klosterinsel Reichenau mit der Ausstellung des Originalplans im Stiftsbezirk St. Gallen und der Klosterbaustelle auf dem Campus Galli – eine Zeitreise durch die Jahrhunderte. Im Rahmen der Klostererlebnistage ist das Gelände in Meßkirch von Freitag 9. bis Sonntag 11. Oktober geöffnet.

Der Winzerverein keltert im Klosterkeller

Rund 50 Kilometer entfernt am Bodensee spenden die Bäume auf der Allee zur Insel Reichenau angenehmen Schatten. Fast als erstes passiert man die Kirche St. Georg. Die Katholische Pfarrkirche wurde nach 888 durch Abt Hatto III, (888–913) erbaut. Hatto, der 896 mit König Arnulf zu dessen Kaiserkrönung nach Rom gereist war, erhielt dort von Papst Formosus das Haupt des Heiligen Georg. Er ließ die Reliquie auf die Reichenau bringen, wo sie ihren Platz in der Krypta der neu errichteten Kirche fand. Mit dem heutigen Bau stehen noch große Teile der ursprünglichen Basilika. Acht großflächige, mehr als vier Meter breite und über zwei Meter hohe Wandbilder im Mittelschiff zeigen wundersame Taten Jesu und illustrieren seinen Einfluss auf Naturgewalten, Krankheiten, Leben und Tod. Sie entstanden Ende des 10. Jahrhunderts und gehören damit zu den frühesten Zeugnissen ihrer Art nördlich der Alpen.

Fast in der Mitte der Insel steht das Münster St. Maria und Markus, die älteste Kirche der Insel. Der einfache Holzbau des Klostergründers Pirmin wurde schon nach wenigen Jahrzehnten zu klein und wurde daher noch im 8. Jahrhundert durch einen etwa 40 Meter langen Steinbau ersetzt. Das Kloster wurde nach seiner wechselhaften Geschichte 1757 aufgelöst. Im weitläufigen Keller keltert heute der Winzerverein den Reichenauer Wein und in der Schatzkammer des Münsters sind zahlreiche Reliquienschreine und weitere Kultgegenstände aus dem 5. bis 8. Jahrhundert zu sehen. Am Inselende ragen die beiden Türme von St. Peter und Paul mit ihren roten Ziegeldächern in den Himmel. Hier steht die letzte der drei romanischen Kirchen auf der Reichenau, eine romanische Säulenbasilika mit Ostturmfassade.

Wieder gut 50 Kilometer sind es von der Insel Reichenau in die Schweiz nach St Gallen. Der Stiftsbezirk St. Gallen wurde 1983 in die Liste der UNESCO aufgenommen. Ausschlaggebend dafür war die Verbindung der barocken Klosteranlage mit einer ins 8. Jahrhundert zurückreichenden Tradition: die dortige Bibliothek, eine der ältesten und reichsten der Welt. Ihr verdankt St. Gallen seinen kunsthistorischen Weltruhm. Im Rahmen der Klostererlebnistage gibt es Morgenführungen durch die aktuelle Ausstellung in der Stiftsbibliothek.

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