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Zukunft ist planbar

Das behaupten jedenfalls Wissenschaftler und Wirtschaftsführer, die mit Hilfe der Synthetischen Biologie eine bio-industrielle Revolution vom Zaun brechen und eine neue Welt erschaffen wollen.
Synthetische Biologie
Foto: Adobe Stock | Die Synthetische Biologie ist bereit, die heutige Industrie auf den Kopf zu stellen und unsere Wirtschaftstätigkeit zu revolutionieren, orakeln ihre Befürworter.

Eric Schmidt ist stellenlos. Mitte Juni gab der US-Amerikaner, der zu den erfolgreichsten Wirtschaftsführern der Welt gehört, seinen Vorstandsposten bei der Google-Mutter Alphabet auf. Der Informatiker, der ein Jahrzehnt (2001–2011) lang selbst dem Vorstand von Google vorsaß, verfügt laut Angaben des US-amerikanischen Magazin „Forbes“ über ein geschätztes Vermögen von 14,2 Milliarden US-Dollar (12,7 Milliarden EUR). Doch zur Ruhe setzen will sich der 64-Jährige immer noch nicht. Erst will er noch die Welt retten.

Anfang Oktober sprach Schmidt auf der SynBioBeta in San Francisco. Die dreitägige Konferenz des gleichnamigen Netzwerkes gilt in der Branche als „Highlight-Event“. Eines, zu dem sich alles, was in der Synthetischen Biologe Rang und Namen hat, einzufinden pflegt: Wissenschaftler, Forschungsfunktionäre und Investoren.

Wissenschaft und Technologie können eine neue Welt erschaffen

Etwa der Biologe Thomas Knight, der viele Jahre lang am Massachusetts Institute of Technology (MIT) forschte und nun mit seinem Bostoner Start-up „Ginko Bioworks“ Designermikroben erschafft. Zum Beispiel Hefepilzzellen, in die Knight Gene von Pfirsichen einbaut, auf dass die so manipulierten Pilzzellen Pfirsich-Aromen produzieren, die sich am Ende in Eistees oder Joghurt wiederfinden.

Eine großartige Idee. Jedenfalls für den, der Pfirsich-Plantagen für eine schlechte hält, ihre Bewirtschaftung als Umwelt-Verbrechen betrachtet und die Kosten für den Früchte-Transport für sinnlos verpulvertes Geld erachtet.

Auch Emily Leproust, Mitbegründerin und CEO von „Twist Bioscience“, und die lebende Legende der Synthetischen Biologie, Andrew Endy, der an der Stanford University in Kalifornien Bio-Ingenieurswesen lehrt, gaben sich in San Francisco die Ehre. Was sie alle eint, ist die fast schon religiös anmutende Überzeugung, mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie ließe sich eine ganz neue Welt erschaffen.

„Die Synthetische Biologie ist bereit, die heutige Industrie auf den Kopf zu stellen und unsere Wirtschaftstätigkeit zu revolutionieren. So wie heute jedes Unternehmen ein Internetunternehmen ist, wird eines Tages jedes Unternehmen ein Biologieunternehmen sein“, orakelt etwa SynBioBeta-Gründer John Cumbers und prophezeit: In Zukunft säße in jedem Unternehmensvorstand ein CBO, ein „Chief Biology Officer“.

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Beseitigung gefährlicher Abfälle durch künstliche Mikroben

Das Marktforschungsunternehmen „Allied Market Research“ schätzt, dass Anwendungen der Synthetischen Biologie im kommenden Jahr erstmals ein weltweites Marktvolumen von 40 Milliarden US-Dollar (35,88 Milliarden EUR) erreichen werden. Zunehmen würden vor allem die Nachfrage nach der Entwicklung von Arzneimitteln und Impfstoffen, der Entwicklung von Biokraftstoffen, sowie der nach biobasierten Kunststoffen und Chemikalien. An Popularität gewonnen hätte auch die Beseitigung gefährlicher Abfälle durch künstliche Mikroben, die Dioxine, Pestizide und sogar radioaktive Verbindungen abzubauen in der Lage wären. Im Grunde kenne die Branche derzeit nur einen Weg. Nach oben.

Eric Schmidt ist das noch nicht genug. Sein Engagement auf dem Feld der Synthetischen Biologie soll der Menschheit „neue Möglichkeiten für ein längeres Leben, eine bessere Gesundheit für die gesamte Menschheit sowie für den Planeten selbst“ eröffnen. Auf der SynBioBeta zählte er – neben der Biochemikerin und Nobelpreisträgerin Frances Arnold und dem Molekularbiologen George Church, Professor für Genetik an der Harvard Medicial School und MIT – deshalb zu den Zugpferden.

Ein neuer Weg zu „regenerativen“, „gesunden Ökosystemen“

Das ist kein Wunder. 2006 gründete Schmidt zunächst gemeinsam mit seiner Frau Wendy, von der er sich inzwischen getrennt hat, die „Schmidt Family Foundation“ mit Sitz in Pao Alto, im US-Bundestaat Kalifornien. Ihr Ziel: die möglichst intelligente Nutzung natürlicher Ressourcen. Den Weg, den es dabei zu beschreiten gelte, beschreibt die Stiftung so: Weg von einer „linearen Wirtschaft, die auf Extraktion und Abfall basiert“, hin zur einer „regenerativen“, die „gesunde Ökosysteme“ schätze.

Im Jahr 2010 hob Schmidt dann zusammen mit dem Israeli Dror Berman die Risikokapitalgesellschaft „Innovation Endeavors“ aus der Taufe, die es sich zur Aufgabe macht, in „visionäre Gründer, Transformationstechnologien und aufstrebende Ökosysteme für eine neue Welt“ zu investieren. Was Innovation Endeavours „Ökosysteme“ nennt, sind im Grunde Gründerzentren, in denen verschiedene Akteure zusammenkommen, um Probleme zu identifizieren und Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung zu erarbeiten und umzusetzen.

Drei Gründerzentren für eine neue Welt: „Farm2050“, „Deep Life“, „Team8“

In drei von ihnen investiert Schmidt’s Gesellschaft bereits. Eines davon trägt den Namen „Farm2050“. Innovation Endeavours geht davon aus, dass die Welt bis zum Jahr 2050 von rund zehn Milliarden Menschen bevölkert werden wird. Dies erfordere eine Steigerung der Lebensmittelproduktion um 70 Prozent. Farm 2050 soll Forscher, Landwirte und Händler zusammenzubringen und Start-ups unterstützen, die diese globale Herausforderung lösen und die Effizienz der Produktion von Lebensmitteln sowie der Ernährung verbessern wollen.

Ein anderes Gründerzentrum nennt sich „Deep Life“. Es soll sich um die Bearbeitung von Problemen kümmern, die an der Schnittstelle zweier „Trends“ entstünden, die Innovation Endeavours zu den „wichtigsten in der Geschichte der Menschheit“ rechnet: Nämlich die „Fähigkeit, Leben zu dekodieren und zu kodieren“ sowie die „Fähigkeit, komplexe Probleme mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu lösen“. Konkret geht es dabei um so abenteuerlich klingende Vorhaben wie das „Ergänzen des molekularen Vokabulars von Zellen und Wirtsorganismen“, aber auch um so wenig überraschende, wie das „Generieren von Datensätzen“, die „effektiver sind als aktuelle Ansätze“, oder die „Vereinfachung der Datenauslesung zur Vorhersage von Ergebnissen“.

Das Dritte Gründerzentrum trägt den Namen „Team8“ und wurde in Israel unter der Leitung von Brigadegeneral Nadav Zafrir, dem ehemaligen Kommandeur der Einheit 8200, der Eliteeinheit für Cybersicherheit und Nachrichtendienste der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, errichtet. Es soll die Sicherheit von Unternehmen und Institutionen verbessern helfen, die sich „gegen immer raffinierter werdende Cyber-Angriffe“ von Hackern zur Wehr setzen müssten, unabhängig davon, ob diese nun von Nationalstaaten oder einfachen Kriminellen vollführt würden.

Auf den ersten Blick scheint dies nur wenig oder rein gar nichts mit Synthetischer Biologie zu tun zu haben. Doch das täuscht. Denn längst arbeiten Firmen wie Twist Bioscience daran, Informationen statt auf Silizium in künstlich hergestellter DNA zu speichern. Dazu müssen die Informationen zunächst bisher Bit für Bit in Gene übersetzt werden, die sequenziert werden müssen, wenn die Daten abgerufen werden sollen.

Speicherung von Daten in künstlich hergestellter DNA ist extrem platzsparend

Zurzeit ist diese Technologie noch ziemlich kostspielig. Twist Bioscience berechnet eigenen Angaben zufolge Kunden für die Speicherung eines Datenvolumens von zwölf Megabyte in künstlich hergestellter DNA derzeit rund 100 000 US-Dollar (89 680 EUR). Doch das könnte sich schon bald ändern. Einen wichtigen Vorteil hat die Speicherung von Daten in künstlich hergestellter DNA schon jetzt. Sie erfolgt extrem platzsparend. So lassen sich auf DNA-Strängen von der Größe einer Schmerztablette die Daten eines ganzen Rechenzentrums unterbringen.

Positiv lässt sich vermerken: Anders als bei der  Embryonalen Stammzellforschung , der künstlichen Befruchtung oder dem Genom-Editing erscheint keine der Anwendungen, die von den führenden Akteuren der Synthetischen Biologie als vielversprechend eingestuft werden, als solche ethisch bedenklich. Im Gegenteil. So ist etwa die von Eric Schmidt und George Church auf der SynBioBeta diskutierte Bindung von CO2 in Bakterien oder Algen sicher eine, gegen die für sich genommen genauso wenig zu sagen ist, wie gegen die Produktion von biologisch abbaubaren Schuhen aus Polyurethan.

Auch Eingriffe in die Natur, wie die Modifizierung von Mikroorganismen, werfen an sich kein ethisches Problem auf. Auf einem ganzen Blatt steht die Frage, ob es wirklich klug ist, die These: „Die Zukunft gehört der Biologie!“ in die Welt hinauszuposaunen und die „3,6 Milliarden Jahre“ andauernde „Entwicklungsgeschichte organischen Lebens auf Erden“ (Giovanni Maio) künftig in die eigene Hand nehmen zu wollen?

Kann, wer Leben mit Ingenieursverstand auf den Leib rückt, noch als Gabe betrachten?

Und auch wenn die Mehrheit der Forscher, die sich auf diesem Feld bewegen, inzwischen eingesehen zu haben scheint, dass die Synthetische Biologie zwar jedes Lebewesen manipulieren, aber eben nicht neu erschaffen kann, drängt sich eine Frage wie von selbst auf. Sie lautet: Was macht es mit eigentlich mit Menschen – dem Einzelnen, wie der Gesellschaft als Ganzer – wenn er Lebewesen im Grunde wie Maschinen betrachtet, deren Baupläne er nach seinen Vorstellungen umgestalten und die er ihren naturhaften Zwecken nach eigenem Gutdünken entheben kann? Oder anders formuliert: Kann, wer dem Leben mit einem Ingenieursverstand auf den Leib rückt, das Leben selbst, und insbesondere das von Menschen, überhaupt noch als Gabe betrachten, die ihm anvertraut wurde? Oder muss ihm dieses nicht unter Hand zum Objekt werden, das solange gehackt und neu designt gehört, bis es den eigenen Wünschen entspricht und den zugewiesenen Zwecken gehorcht?

Der Sound, mit dem die Bioingenieure derzeit auf Werbetour gehen, erinnert jedenfalls in unangenehmer Weise an die Fragment gebliebene Staatsutopie „Nova Atlantis“ des britischen Philosophen Francis Bacon (1561–1626), was ihre Relektüre überaus empfehlenswert macht. Denn in ihr bilden die Wissenschaftler gewissermaßen einen Staat im Staate, der das Ziel verfolgt, „die menschliche Herrschaft bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen zu erweitern“. Und weil der Mensch sich dabei für gewöhnlich zu überheben droht, und selbst kleine Fehler mitunter große Auswirkungen haben, ist es eben auch nicht unmöglich, dass die bio-industrielle Revolution, die Eric Schmidt & Co. jetzt ausrufen, die letzte sein könnte.

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